Eine Auswahl von Johnny Simmens Favoriten:
Willie „The Lion“ Smith, Echoes of Spring (live in der Aula der Handelshochschule St. Gallen, 01.12.1965)
Louis Armstrong, Alligator Crawl, 1927
Fats Waller, Lenox Avenue Blues, 1926
Rossano Sportiello, I didn’t know what Time it was, 2005
Hans Georg "Johnny" Simmen, * Brugg, 07.04.1918, † Zürich, 23.09.2004
Jazzkenner, -Publizist und -Vermittler
Getarnt durch eine biedere Bürgerlichkeit, unterscheidet sich der 80jährige Johnny Simmen kaum von seiner Umgebung in Zürich Oberstrass. Wenige wissen von seiner nicht versiegten Jazzleidenschaft, die ihresgleichen sucht und stärker war als der berufliche Ehrgeiz.
Ein feingliedriger, weisshaariger Herr mit professoraler Brille öffnet und bittet ins sogenannte «Jazz-Zimmer». Erst hier offenbart sich die unheilbare Jazzleidenschaft von Hans Georg Simmen, die Grund dafür ist, dass ihn alle Welt «Johnny» nennt. Das Zimmer ist voller Langspielplatten und CD. Als der 1918 in Brugg geborene Simmen mit elf Jahren am Radio den «Alligator Crawl» von Louis Armstrong hörte, war es um ihn geschehen. 1934 doppelte Armstrong leibhaftig nach: an einem Novembertag fand das legendäre Satchmo-Konzert in der Tonhalle statt, das sich Simmen nicht entgehen liess.
3000 Artikel
«Schon damals hatte ich kaum etwas anderes als Jazz im Kopf», schwärmt Simmen; doch kann dies nicht ganz stimmen. Um Jazzliteratur lesen zu können, bestand er 1942 das Cambridge Examination Proficiency, und um Geld zu verdienen, trat er 1943 eine Stelle beim Lebensmittelamt der Stadt Zürich und 1946 bei der Swissair an. Vor allem als Korrespondent hat sich Simmen einen Namen geschaffen. Bereits 1932 wandte er sich brieflich an den französischen Jazzkritiker Hugues Panassié. «Für mich war das ein Halbgott», erklärt Simmen. «Ich fühlte mich wie ein kleiner Landpfarrer, der dem Papst schreibt.»
Fazit: Jahrelang war er Korrespondent für Panassiés «Bulletin du Hot Club de France», ehe er sich von seinem Idol, das ihm mehr und mehr zu sektiererisch, zu reaktionär vorkam, abwandte. Ohne Scheu suchte Simmen, der selbst einmal Klavier gespielt, seine eigene Musik aber nicht ausgehalten hatte, weitere Kontakte in Jazzkreisen. In den Spitzenzeiten korrespondierte er gleichzeitig mit 87 US-Profimusikem. Die meisten seiner englisch abgefassten Artikel erschienen im «Melody Maker», «Downbeat» und «Storyville» sowie im belgischen Magazin «Le Point du Jazz» und im kanadischen «Coda». Über 3000 sind es bis heute geworden, bei allen stand der Mensch und da wiederum der seiner Ansicht nach unterschätzte Musiker im Vordergrund. Kritiker wollte Simmen nie sein.
Förderer der Zürcher Jazzszene
Simmen hat als Initiator von Jazzclubs, wo Platten gehört und Vorträge gehalten wurden, einiges für die Zürcher Szene bewirkt. 1935 gründete er zusammen mit dem Bassisten Gene Favre den «Rhythm Club» an der Freigutstrasse. Später zeichnete das Duo für den «Hot Club Zürich» im Musikhaus Bühler an der Storchengasse verantwortlich. Ende 1945 zog sich Simmen vom Club-Leben zurück, hielt aber noch Vorträge. Auch gehörte er ab 1951 während sieben Jahren der Jury des Amateur Jazz Festivals an. 1949 brachte er das Trio des Pianisten Willie «The Lion» Smith in die Tonhalle und verlor viel Geld damit. Willie hatte Erbarmen und trat im folgenden Februar solo und fast gratis im Kaufleuten auf, wodurch Simmen fast sein ganzes Geld zurückerhielt. Simmens Wohnung in Zürich Oberstrass – von aussen mit einer bürgerlichen Tarnfarbe versehen - war oft Treffpunkt und Beherbergungsstätte für Musikerfreunde; viele waren hier zu Gast, darunter Bill Coleman, Zutty Singleton, Humphrey Lyttelton, Teddy Wilson, Rex Stewart, Joe Turner, Horace Silver, Sammy Price, Buck Clayton, Billy Strayhom und Wallace Bishop. Einige nächtigten sogar bei den Simmens, für Aufsehen bei der Nachbarschaft war gesorgt. Die Tonträgersammlung ist mittlerweile ins Unermessliche angewachsen. Üblicherweise läuft bei den Simmens täglich sechs bis sieben Stunden Jazz. Jeden Tag beginnt Simmen mit zwei vollständig abgehörten Langspielplatten. Neben der Korrespondenz, die er nach wie vor in alle Welt führt, betreut er seit 1982 für die Swissair-Bordunterhaltung den «Jazzkanal No. 10»; zu hören sind seine Programme aber nur auf den in der Schweiz startenden Langstreckenflügen. Ein Ritual besonderer Art prägt die Abende an den Wochenenden: dann legt das jazzbegeisterte Ehepaar ausgewählte Schellack-Raritäten auf den Plattenteller und diskutiert in totaler Konzentration über die betreffenden Musiker.
(Ueli Staub, Neue Zürcher Zeitung, 19.01.1999)
Die Sammlung Johnny Simmen
Eine der bedeutendsten Jazz-Sammlungen ist dem swissjazzorama als Schenkung überreicht worden: Alles, was Johnny Simmen, der weltweit respektierte Schweizer Jazzkenner, -Publizist und -Vermittler, gesammelt hat.
Johnny Simmen (1918 –2004) baute seit seiner frühen Jugend eine einzigartige Sammlung von Büchern, Zeitschriften und mehreren Tausend Tonträgern aller Art auf. Davon ist eine Mehrheit Vinyl-LPs. Er zog es jedoch vor, den Jazz auf 78-Touren-Schellacks zu hören. Deren Spieldauer von rund 3 Minuten ermöglichte ihm eine bessere Konzentration als die 25 Minuten einer ganzen LP-Seite oder die Stunde einer CD. Aufnahme- oder Wiedergabetechnik spielten für ihn untergeordnete Rollen. Simmens Interesse galt vor allem der Musik. Auch die Sammlertätigkeit an sich war für ihn nicht zentral.
Freundschaften mit Musikern
Das Wichtigste war für ihn das Kennen, Schätzen und Geniessen der swingenden Musik sowie die Bekanntschaften, ja die intensiven Freundschaften mit zahlreichen Musikern von Louis Armstrong bis Teddy Wilson. Zudem verbreitete er in der Form von Gesprächen, Vorträgen, Plattencovers, Buchbeiträgen und Artikeln (Tausende von Publikationen in schweizerischen und internationalen Jazzmagazinen) die Botschaft JAZZ mit einzigartigem Engagement und aktueller Sachkenntnis.
Eine grosszügige Schenkung
Diese unschätzbare Kollektion ist von Simmens Tochter Frau Michèle Pfenninger-Simmen als ausserordentlich grosszügige Schenkung dem swissjazzorama in Uster überreicht worden. Als separate, integrale Simmen-Collection wird sie so erhalten. Die umfangreiche Korrespondenz von Simmen mit Jazzmusikern und -Kennern wurde schon früher in das britische National Jazz Archive eingebracht.
Louis Armstrong
Hans Georg «Johnny» Simmen wurde am 7. April 1918 in eine gut situierte Familie in Brugg AG geboren. Dort wuchs er zusammen mit seiner Schwester Sylvie wohlbehütet auf. Beide Eltern spielten Klavier. Es war fast selbstverständlich, dass Hans Georg Klavierunterricht nahm, während sieben Jahren. Die vielen Platten mit klassischer Musik im Hause kannte er fast auswendig. Dann, mit 11 Jahren erlebte er seine Sternstunde: am Radio hörte er zufällig Louis Armstrongs «Alligator Crawl» mit den Hot Seven – und seine Welt, sein Handeln, Hören, Fühlen, sein ganzes Interesse wurde schlagartig: JAZZ! Dabei sollte es bleiben, bis zu seinem Hinschied am 23. September 2004. Womöglich nahm seine Begeisterung noch zu als er 1934 in der Zürcher Tonhalle Louis Armstrong «live» hörte.
Heirat mit Liza
1946 heiratete Johnny Liza Peretti, eine ebenso begeisterte Jazzkennerin aus Genf. Die Simmens pflegten über all die Jahre den Musikgenuss gemeinsam, sowie die zahllosen Bekanntschaften und Freundschaften mit Jazzmusikern und Jazzfreunden. Die Donatorin der einzigartigen Simmen Collection ist die 1950 geborene Tochter Michèle. Die Geburt des Töchterchens wurde übrigens vom Stridepianisten und Multitalent Willie „The Lion“ Smith schon lange vorher präzis weisgesagt.
Swissair
Ebenfalls 1946 nahm J. Simmen mit seinen Sprachkenntnissen die Arbeit bei SWISSAIR auf, wo er während 37 Jahren als hochgeschätzter, vielseitig einsetzbarer Mitarbeiter und Kollege wirkte. Seine fundierten Kenntnisse der Passagierbedürfnisse, der Reservationssysteme, der internationalen Reisevorschriften und vor allem sein diplomatisches Geschick und sein Talent, Menschen zusammenzubringen, machten ihn zum idealen Organisator und Trouble-Shooter in allen möglichen Situationen. Unter anderem war er verantwortlich für sämtliche Reisen der Familie von Thomas Mann. Jazz-Stars wie Basie, Ellington, Goodman mit ihren Bands, Ella Fitzgerald, Eubie Blake, Buck Clayton, Bill Coleman, Stuff Smith, Rex Stewart oder Teddy Wilson schätzten nicht nur seine Dienste. Gerne liessen sie sich von ihm bei ihren Aufenthalten in Zürich interviewen oder privat bei den Simmens willkommen heissen. Schliesslich gelang es ihm, den Beruf und seine Liebe zum Jazz miteinander zu verbinden.
Jazz für die Passagiere
Während rund 7 Jahren produzierte er alle 2 Monate ein neues Jazzprogramm für die Swissair Langstreckenflüge. Die Passagiere – nicht nur die Jazzfans unter ihnen – genossen jeweils während zwei Stunden viel Musik, mit kurzen, prägnanten Kommentaren aus der Feder des Meisters. Stets war es ihm ein Anliegen, neben den üblichen Stars auch weniger bekannte grosse Talente zu präsentieren, wie etwa Doc Cheatham, Henri Chaix, Dave McKenna, George van Eps, Keith Ingham, Tab Smith, Maxine Sullivan, Al Casey, Ellis Larkins oder François Rilhac. Johnny Simmen förderte den Jazz und die Musiker auch als Gründer und Hauptexponent verschiedener Jazz Clubs in Zürich, wie Protokolle ab 1935 belegen. Er war auch gefragter Referent bei ausländischen Clubs. Und er begleitete das Zürcher Amateur Jazz Festival als Jurymitglied während sieben Jahren.
(Konrad Korsunsky, Jazzletter 28, August 2013)
«Ein Leben ohne Jazz? Unvorstellbar!»
Jedem Jazzfreund schlägt das Herz höher, wenn er jemanden trifft, der Louis Armstrong persönlich kannte. Wenn es sich aber um Johnny Simmen handelt, den berühmten Schweizer Jazzchronisten, 1918 in Brugg geboren, ist das ein ganz besonderes Ereignis. Man sieht es dem Mehrfamilienhaus in Zürich 6, wo Johnny und Liza Simmen wohnen, keineswegs an, dass hier schon Dutzende von amerikanischen Jazzmusikern zu Gast waren, darunter so berühmte Jazzgrössen wie Buck Clayton, Bill Coleman, Horace Silver, Buddy Tate, Rex Stewart, Billy Strayhorn und viele andere mehr. Seine Stelle bei der Swissair als Assistent des Manager Passenger Sales Promotion bot Johnny Simmen viele Möglichkeiten, immer wieder interessante Persönlichkeiten kennenzulernen. Mit geradezu erstaunlichem Elan schrieb Johnny während 60 Jahren Artikel über Jazzthemen und Musiker für die englischsprachigen Zeitschriften Down Beat, Melody Maker und Storyville sowie für das belgische Le Point du Jazz und das kanadische Coda. Sein profundes Wissen erweiterte er durch ständiges Korrespondieren mit Jazzmusikern in aller Welt. Zeitweilig hatte er Kontakte mit etwa 80 US-Profimusikern.
Ein Leben ohne Jazz ist für das Ehepaar Simmen nicht vorstellbar. Immer wieder werden Platten aufgelegt, wird eingehend über das Gehörte diskutiert. Von ganz besonderer Art sind die Wochenenden. Dann kommen wieder die alten Schellacks zu Ehren, von denen man sich unter keinen Umständen trennen möchte.
Fernand Schlumpf und Jimmy T. Schmid trafen das Ehepaar Simmen am 29. Mai zu einem Interview. Johnny Simmen war gerne bereit, eine Reihe von Fragen zu beantworten.
Wie erlebten Sie am 30. November 1934 das erste Armstrong-Konzert in Zürich?
Johnny Simmen: Es war Louis Armstrong, der meine Jazzseele so richtig zum Schwingen brachte. 1929 hörte ich als 11-Jähriger seinen «Alligator Crawl» am Radio. Dass ich dieses Armstrong-Konzert im grossen Tonhallesaal besuchen musste, war für mich ganz klar. Ich war in Begleitung meiner Mutter.
Und so wurde auch Ihre Mutter zum Jazzfan?
So kann man das nicht sagen. Doch meine Eltern waren sehr musikalisch. Meine Mutter spielte viel Klassisches auf dem Klavier und mein Vater war als Generalstabsoffizier ein grosser Liebhaber von Marschmusik. Meiner Vorliebe für Jazz standen sie mit Toleranz gegenüber. Vielleicht hofften sie insgeheim auf eine eher vorübergehende Erscheinung.
Gingen Sie auch zu Armstrongs Konzerten, als er nach dem Krieg mit seinen All Stars nach Europa kam?
Ich besuchte alle Konzerte. Für mich war Armstrong als Musiker und als Mensch eine überragende Persönlichkeit. War er dies auch für die Musiker? Durchaus. Ich kannte sehr viele. Im Urteil über Armstrong waren sich alle einig. Sehr eindeutig formulierte es z.B. der Trompeter Henry Mason, der 1941 mit Willie Lewis in Zürich spielte. Er sagte: «He was the greatest thing that happened to Jazz». Übrigens besuchten wir, meine Frau und ich, 1948 auch das Jazz Festival Nizza. Da waren die All Stars auch dabei. Immer noch mit Sid Catlett am Schlagzeug.
Gibt es weitere Musiker, die Sie besonders gut kannten?
Sicher. Eine ganze Reihe. Schon bald lernte ich Kaiser Marshall kennen, der in den besten Jahren in der Fletcher Henderson Band am Schlagzeug sass. Er spielte 1937 sechs Wochen mit dem Orchester Bobby Martin im Restaurant Sihlporte in Zürich. Dort traf ich Kaiser, und er wurde bald ein Freund unserer Familie. Ein weiterer berühmter Drummer dieser Zeit, Wallace Bishop, war ebenfalls ein guter Freund von mir.
War das nicht der Drummer von Willie «the Lion» Smith, als dieser im Dezember 1949 in Zürich im kleinen Tonhallesaal ein Konzert gab?
Richtig. Ich brachte Willie zusammen mit Wallace Bishop und Ernest «Bass» Hill in die Tonhalle. Musikalisch war das ein Erfolg, finanziell gar nicht. Ich verlor viel Geld. Doch im folgenden Februar gab Willie «the Lion» Smith im Kaufleutensaal ein Solokonzert. Er spielte fast gratis, sodass ich meinen Verlust weitgehend ausgleichen konnte.
Hatten Sie auch Kontakte zu Schweizer Musikern?
Zu sehr vielen. Da waren die Drummer Berry Peritz, Maurice Einhorn, dann der Klarinettist Ernst Höllerhagen, dann Cedric Dumont, Ernest R. Berner u.a. Mit dem langjährigen Bassisten der Original Teddies, Gene Favre, gründete ich 1935 in Zürich den Rhythm Club.
Wie haben Sie die Entwicklung des Jazz erlebt, z.B. die Ablösung des Swing durch den Bebop?
Nun, ich bin grundsätzlich den verschiedenen Stilen gegenüber sehr aufgeschlossen. Bereits als Teenager wandte ich mich mit einem Brief an Hugues Panassié. Ich war dann während Jahren Korrespondent seines «Bulletin du Hot Club de France». Er war für mich fast eine Art Abgott. Doch als er den Bebop rigoros ablehnte, ging mir dies zu weit. Ich zog unter das Kapitel Panassié einen Schlussstrich.
Stile, Musiker. Was schätzen Sie besonders?
Alles was gut ist. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Vor allem aber Pianisten und Gitarristen. Und zwar unabhängig von der Hautfarbe.
Und wie sehen Sie die Zukunft des Jazz?
Da mache ich mir keine Sorgen. Es wird irgendwie weitergehen.
(Jimmy T. Schmid, Jazzletter 3, Juli 2001)
Links
Mehr über die Johnny Simmen Sammlung im Archiv des swissjazzorama >>>
Suche nach Simmen-Tonträgern unter www.jazzdaten.ch >>>
Verwenden Sie folgende Suchbegriffe, um alle erfassten Tonträger anzuzeigen:
Schellack: „s-sh-*“ (Erfassung in Arbeit)
Vinyl:“s-lp-*“ (Alle LP’s sind erfasst.)
CD: „s-cd-*“
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Zusammengestellt von Thomas Schärer