Lance Tschannen, * 04.03.1922, Bern † 06.04.1984
Produzent, Publizist, Radiomacher, Musikförderer
Schweizer Publizist und Produzent. Bis zu seinem Tode war er Leiter der Abteilung "Kulturprogramme" beim Schweizer Radio International und seit 1978 Präsident des Schweizer Musikrats, 1969 bis 1978 der Europäischen Jazz-Föderation. Produzent der schweizerischen Musik-Anthologie "Musica Helvetica". Präsident der Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz und der Swiss Jazz School in Bern. Er war ein unermüdlicher Inspirator des Schweizer Musiklebens.
(Who’s Who, The People Lexicon)
Tänzer auf vielen Hochzeiten: Lance Tschannen
Persönlichkeit: Obwohl Tschannen in helvetischen Gefilden hier und dort in den Genuss der Weihe als «Jazzpapst» kam, war sein musikalisches Interesse breiter gefächert. Diesen Eindruck gewinnt, wer versucht, sich einen Überblick über sein lebenslanges Engagement für Musik unterschiedlicher Provenienz zu verschaffen. Der Spagat, einerseits das Amt des Präsidenten der Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz zu bekleiden und anderseits die Swiss Jazz School in Bern mit zu begründen, schien ihm spielend zu gelingen.
Wirken: Wie schon angedeutet, war Tschannen salopp gesagt ein Hansdampf in allen Gassen. Er produzierte die Schweizerische Musikanthologie Musica Helvetica, war 1968–1979 sowohl Präsident der Europäischen Jazz-Föderation als auch ab 1978 Präsident des Schweizer Musikrats. Seine Mitarbeit war auch beim Zürcher Amateur-Jazzfestival und als Geburtshelfer der Montreux Jazz Festivals gefragt.
Radio: Hauptsächlich jedoch war Lance Tschannen ein Radiomann und förderte als Leiter Kultur von Schweizer Radio International SRI mit seiner Sendung Jazz Panorama während 25 Jahren die Vorliebe für diese Musik an vielen Ecken. Wohl wissend, dass die Präsentation dieser Musik kaum je mehr als ein Minderheitenpublikum ansprechen wird, vermochte er doch ein solides Fundament, das die Einsturzgefahr in Grenzen hält, anzulegen.
Anekdotischer Exkurs in die Vergangenheit: Im Juni 1964 erschien in der kulturpolitischen Zeitschrift die Linie ein Beitrag von Lance Tschannen zum heute leicht grotesk anmutenden Thema „Ist Jazz unmoralisch“? Vor dem Hintergrund, dass Jazz damals in rassistischer Einfärbung noch immer verbreitet als «Negermusik» mit allen dazu passenden kulturellen Vorurteilen galt, gelangte Tschannen tapfer zur abschliessenden Einsicht: «Jazz ist in der Tat eine musikalische Sprache unserer Zeit geworden, und wenn er unmoralisch sein sollte, dann müssen wir grundsätzlich an der Moral unseres heutigen Lebens zweifeln». Wohl wahr.
(Heinz Abler, Jazzletter 43, April 2019)
„Wie die Atomenergie und die kollektiven Arbeitsverträge, so ist auch die Jazzmusik ein Produkt unserer Zeit; man muss sich daher mit diesem Phänomen, das wie ein Wildfeuer um sich zu greifen scheint, auseinandersetzen. (…) Die heutigen jungen Leute, die sich ernsthaft für den Jazz interessieren, sind keine Halbstarken und sind nicht auf Barstühlen und vor schreienden, kreischenden Musikautomaten zu finden, sondern, wie die Freunde klassischer Musik, in Konzerten und vor High-Fidelity-Langspielapparaten daheim.“
(Lance Tschannen, Jazz im Blickfeld zweier Generationen, Die Frau, Januar 1961, gefunden in Bruno Spoerri’s Jazz in der Schweiz – Geschichte und Geschichten)
Dass die Programme aus dem Studio Bern lange Zeit konsequent ohne Jazz stattfanden, hängt mit der dortigen Studiophilosophie zusammen. Für die verantwortlichen Berner Radiodirektoren war das neue Medium in erster Linie ein Mittel zur Volkserziehung. Man warf ihren Sendungen denn auch immer wieder vor, sie besässen etwas 0berlehrerhaftes. Ein frischer Wind kam in die Programme, als Lance Tschannen eine der ersten Jazzsendungen auf Mittelwelle Beromünster gestalten durfte. Tschannen arbeitete hauptberuflich für den schweizerischen Kurzwellensender. Sein Ansatz war - anders als bei Jan Slawe – ein journalistisch-feuilletonistischer. So produzierte er mit Schallplatten erste abendfüllende Jazzsendungen, indem er etwa anhand der Carnegie-Hall-Aufnahmen von Benny Goodman eine Konzertsituation inklusive (echter) Pauseninterviews simulierte.
(Bruno Rub, Vom Beromünster-Mix zum DRS-2-Format - der Jazz im Deutschschweizer Radio, aus Bruno Spoerri’s Jazz in der Schweiz – Geschichte und Geschichten)
Lance Tschannen, der Jazzpapst
25 Jahre lang ging sein „Jazz Panorama“ bei Schweizer Radio lnternational SRI über den Sender: Lance Tschannen war der Jazzpapst, der während Jahrzehnten weit über SRI hinaus den Jazz gelebt und verkörpert hat. 15 Jahre nach dem Tod des Grand Old Man lanciert die SRG an seiner einstigen Wirkungsstätte, in neuerbauten Studios im Gebäude von Schweizer Radio lnternational in Bern-Ostring, mit Swiss Culture & Jazz den ersten deutschsprachig moderierten Jazzsender. Das neue Kulturradio der SRG bringt 24 Stunden Jazz mit breiter Kulturberichterstattung weit über Jazz hinaus. In ihrem Programmauftrag sieht die zehnköpfige junge, motivierte Redaktionscrew auch eine Hommage an Lance Tschannen.
In Jazzkreisen galt Tschannen als eine Leitfigur nicht nur für alles, was Jazz und Radio rund um den Globus miteinander verband. Der 1984 62-jährig verstorbene Berner Hüne mit schwarzem Schlapphut betätigte sich als Moderator eigener Radiosendungen, als Jazz-Kritiker, Plattenproduzent und Jazz Promotor Er war Mitarbeiter des Jazz Festivals Zürich ab 1975 und Mitbegründer der Swiss Jazz School in Bern. Mit seinen Jazzsendungen bei SRI habe er „während all der Jahre auf einem guten Erfolg aufbauen können, so dass sie anerkannt gewesen sind in Jazzkreisen international, quasi eine kleine lnstitution“, sagte Lance Tschannen in einem Radio-Statement kurz vor seinem Tod.
25 Jahre „Jazz Panorama“
Tschannen war SRI-Vizedirektor und Leiter der Abteilung Features & Transcriptions. Als Radio Moderator präsentierte er auf englisch „bewusst nur Musik aus Europa“. In seinen Jazz-Sendungen sah Tschannen stets ein Pendant zum anderen, aus Amerika nach Europa ausstrahlenden Radio-Dinosaurier „Music USA“. „So sind zwei Programme entstanden, die sich gegenseitig ergänzen, meinte Tschannen.
Zu seinem „Jazz Panorama“ merkte er an: „Es ist das am längsten dauernde Programm, das wir haben, sicher nicht ein Programm, das sich an eine Mehrzahl von Hörern richtet, sondern ein Minoritätenprogramm. Es ist ein Programm, das eine treue Hörerschaft hat, die sich ständig immer wieder erneuert“. lm Auftrag von Memoriav werden sie im Gebäude von Schweizer Radio lnternational derzeit auf zeitgemässe Datenträger umkopiert – die auf Band archivierten Jazz-Features, die Lance Tschannen gestaltet hat.
Als Jazzpapst hat ihn erst kürzlich Bernie Uhlmann bezeichnet, der seinerseits heute Vizedirektor der Cinémathèque Suisse in Lausanne ist. Der Ex-Schaffhauser und Ex-Zürcher, seit den 50er Jahren „ein angefressener Jazz-Liebhaber“, war in der Präsidialabteilung der Stadt Zürich ab 1975 verantwortlich für das mit 250'000 Franken subventionierte Zürcher Jazzfestival. „Lance Tschannen war als Jazzliebhaber und Jazzkritiker für uns der Jazzpapst“, sagte Uhlmann in einer Talkshow von Swiss Culture & Jazz. am 16 Oktober 1998 wörtlich. „Er war ein Radio-Profi der alten Schule Seine Beiträge hatten perfektes amerikanisches Format“, wurde 1984 in der „Berner Zeitung“ Franz Biffiger, Jazzpianist und Architekt, zitiert. „Tschannen war deutlich geprägt von der Nachkriegszeit: Sein Enthusiasmus und sein Engagement für den Jazz - das können wohl nur Leute seiner Generation richtig begreifen - haben durchaus mit Antifaschismus zu tun, insofern, als der Jazz die Stimme Amerikas war, die Musik für die in Europa stationierten Amerikaner.“
Und im „Bund“ erinnerte sich 1984 Jürg Solothurnmann: „Als Jugendlicher nahm ich jeweils alle Jazzsendungen auf Tonband auf, führte darüber Buch und versuchte die korrekte Schreibweise der Musikernamen herauszufinden, die Lance Tschannen in seinen Jazz News in vorbildlichem amerikanischem Radioenglisch erwähnt hatte.“
(Broschüre von Swiss Culture & Jazz, Jazz-Radio, 1999)
1972 wurde die SJS (Swiss Jazz School) zu einer selbständigen Lehranstalt ausgebaut. Ein Trägerverein wurde gegründet, der die Unterstützung durch die Stadt und den Kanton Bern ermöglichte. Mit diesem Schritt wuchsen die Erwartungen an die junge Schule. Die «Hobby-Insitution» des Freizeitwerks verlangte Professionalisierung. Erfahrene Berufsmusiker ersetzten nach und nach die von Bigler im Eilzugstempo ausgebildeten «Greenhörner der ersten Stunde». Bob Share, der damalige Direktor der «Berklee School of Music», kam nach Bern und fungierte als Berater. Eine Gruppe um den Radiomann und Jazzpromotor Lance Tschannen erarbeitete die Grundlagen für eine Neustrukturierung der Swiss Jazz School Bern.
(Franz Biffiger, Swiss Jazz School Bern - Ein Rückblick auf die Gründerjahre,Jazzletter 30, April 2014)
Anmerkung: Lance Tschannen leitete von 1977 – 1984 den Verein Swiss Jazz School in Bern. Die Swiss Jazz School war die erste Jazzschule der Schweiz.
Von 1981 bis 2017 war die GVS (Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz) Mitglied des Schweizer Musikrats (SMR). Mit Lance Tschannen stellte sie 1978 bis zu seinem Tod 1984 den Präsidenten.
(volksmusik.ch)
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Zusammengestellt von Thomas Schärer