Gab es einen universelleren Jazzmusiker als den Pianisten, Bandleader und Komponisten Walter Baumgartner, von guten Freunden «Bäumi» genannt? Wohl kaum.
Alles begann im St. Galler Rheintal
Walter Baumgartner kam am 16. November 1904 in Sevelen im St. Galler Rheintal zur Welt. Sein Vater spielte auf der Geige Tanzmusik, seine Mutter begleitete ihn auf einem Harmonium. Ein Teil seiner Verwandtschaft wohnte im Appenzellischen. Noch als Erwachsener beschlichen ihn nostalgische Gefühle, wenn er echte Appenzeller Tanzmusik hörte, möglichst begleitet von den Klängen des traditionellen Talerschwingens. Trotz seiner grossen Affinität zum Jazz blieb er der Volksmusik stets verbunden.
Studienjahre
Walter Baumgartner verbrachte nur die ersten Lebensjahre im Appenzellischen. Schon bald zügelten die Baumgartners nach Zürich, wo Walter zur Schule ging, daneben aber schon früh am Konservatorium Klavierstunden nahm. Als die Direktorin seine Fähigkeiten realisierte, schlug sie den Eltern vor, Walter sollte zur Berufsschule wechseln. Da waren seine Eltern jedoch sehr dagegen. Und so machte er eben nach der Schule zuerst eine Handelsmatur und dann anschliessend am Realgymnasium eine Gymimatur. Dann studierte er Primarlehrer und machte einen Studienabschluss als Seklehrer an der Uni Zürich. Dazwischen gab es einen Abstecher an die Sorbonne Paris. Ganz am Schluss seines grossen Studien-Parcours wandte er sich wieder dem Konsi zu. Zu seinen Hauptlehrern gehörte der berühmte Komponist und Dirigent Hermann Scherchen.
Schon während seiner Konsizeit befasste sich Walter Baumgartner intensiv mit dem Jazz. In der gänzlich aufs Europäische ausgerichteten Musikschule spielte er ein wenig die Rolle des «schwarzen Schafes». Trotzdem gründete und leitete er Ende der Zwanzigerjahre das erste Studenten-Jazzorchester, das an Bällen in Zürich und Umgebung zum Tanz aufspielte. Dort, wo Jazz erlaubt war!
Mit Jazz und Blues gings weiter
Kaum hatte der «Bäumi» genannte Student seine Prüfungen hinter sich, liess er sich von einer amerikanischen Damen-Jazzband als Arrangeur engagieren. Er bekam 25 Dollar für ein Arrangement. Erstmals verdiente er mit Musik Geld. Nun war er Berufsmusiker und bestritt mit Musik seinen Lebensunterhalt. Der Jazz liess ihn nie los. Als der Regisseur Kurt Früh für seinen Film «Café Odeon» eine passende Musik suchte, die die Atmosphäre des damaligen Lokals einfangen sollte, hat er ein Thema in Bluesform gewählt. Er nannte es «OdeonBlues».
Bäumis Jazzhöhepunkt «The Magnolians»
Eine Bigband zu leiten, war schon immer, was dem jungen Musiker Walter Baumgartner als erstrebenswertes Ziel vorschwebte. In einer Bigband mitzuwirken, dazu hatte er im Dancing «Miami» in Genf Gelegenheit. Das waren die Miami Dandies, vom September 1933 bis zum Februar 1934. Nach Ablauf des Miami Engagements gabs – welch ein Glück für Bäumi – eine erste längere Anstellung für seine neuformierte, etwas abgespeckte Bigband, «The Magnolians». Ihre Besetzung umfasste immerhin den ausgezeichneten Saxofonisten Hugo Peritz (Bruder des Drummers Berry Peritz) und den Gitarristen und Sänger Billy Toffel, der später auch mit den «Teddies» viel Erfolg hatte. Im Sommer 1934 gings nach einigen Gigs im Zürcher Dancing «Esplanade» weiter Richtung St. Gallen zu einem mehrwöchigen Engagement im Dancing «Walhalla». Die «Magnolians» mit ihrem schwungvollen Swing hatten überall viel Erfolg. Kein Wunder! Im Laufe des Sommers stiessen der Tenorsaxofonist Eddie Brunner, ein absoluter Meister seines Faches, sowie der Schlagzeuger Berry Peritz (Bruder von Hugo Peritz), viele nannten ihn «Schweizer Gene Krupa», zu den «Magnolians».
Die wahrscheinliche «Magnolians»-Besetzung im Herbst 37: Gus Waeschle, Michael Gross und Rolf Heinemann, Trompeten; Marc Perrin, Trombone; Henry Alder, Kurt Schäfer, Eddie Brunner, Hugo Peritz, Saxes, Walter Baumgartner, Piano und Leader; Fred Jaquillard, Bass und Berry Peritz, Schlagzeug.
Auch das Visuelle ist wichtig
Als Duke Ellington zum ersten Mal nach Europa kam, kratzte Bäumi alles Geld zusammen, um sich live das amerikanische Spitzenorchester anzuhören. Neben der sensationellen Musik bewunderte er die tollen Anzüge der Musiker: Weisse Vestons, grüne Hosen und goldfarbige Krawatten. In der Pause wechselten die Musiker das Tenue und kamen in einem hellgrauen Smoking daher. Dieser Tenueaufwand wurde von den «Magnolians» kopiert. Ein damaliger Trompeter der Band, Gus Waeschle, berichtete später, der Aufwand mit den Klamotten sei wohl etwas gross gewesen, habe aber doch einiges zum Erfolg des Orchesters beigetragen. Auch beim Zusammenstellen eines Schlagzeuges wurde das Visuelle berücksichtigt. Der erste Drummer der «Magnolians», Nesty Frey, montierte eine Reihe von Woodblocs auf seiner Bassdrum und ergänzte sein Set mit zwei Kesselpauken.
Das Corso Varieté-Orchester
Anfangs der Vierzigerjahre verwandelten sich die «Magnolians» ins Corso-Varieté-Orchester, in eine neue Formation, bei der Vielseitigkeit sehr gefragt war, als Dirigent wurde Max Roth engagiert. Doch ein universeller Musiker wie Walter Baumgartner war durchaus in der Lage, diesen erweiterten Anforderungen gerecht zu werden, dazu gehörten z.B. das Begleiten des populären französischen Sängers Charles Trenet oder des Hypnotiseurs Hermandos.
Immer noch full of swing waren Bäumis Konkurrenten, vor allem die »Teddies» des Berners Teddy Stauffer und die Basler «Lanigiros» sowie «The Berries» des ehemaligen «Magnolian»-Drummers Berry Peritz. Wie war’s mit Dixiebands als Tanzkapellen? Das gabs damals während der Kriegsjahre noch kaum. Erst mit dem Zürcher Jazzfestival von André Berner in den Fünfzigerjahren wurde die Popularität von Dixiebands gefördert, so dass sie da und dort auch zum Tanz aufspielten.
Es muss ja nicht immer Jazz sein
Im September 1939 kam der Krieg und mit ihm die Generalmobilmachung. Bäumi war jedoch untauglich (zu geringer Brustumfang). Er bekam jedoch ein Aufgebot, Militärdienst leistende Sekundarlehrer in Zürich, Meilen und Grüningen zu ersetzen. Selbstverständlich war «der Neue» bei der Jugend sehr beliebt. Für Bäumi war das Ganze aber in hohem Masse anstrengend: Tagsüber gab er Unterricht und nachts leitete er immer noch das Orchester im Corso. Nach dem Krieg kamen Plattenaufnahmen mit Lys Assia, Vico Torriani und den Geschwistern Schmid. Die Bigbandzeit war nun vorüber. Walter Baumgartner, das war bald ein bekannter Name im Filmgeschäft. Bäumi schrieb die Musik zu einigen Filmen von Kurt Früh. Einer der bekanntesten und besten war «Bäckerei Zürrer.
Durch seine Ehe mit der Kabarettistin Helen Vita wurde auch das Komponieren für die Kleinkunstbühne aktiviert. Ebenso eine wichtige Rolle in den Vierziger- und Fünfzigerjahren spielte das Plattenaufnehmen für «Elite Special», wo besonders das damals populäre Duo Martha Mumenthaler und Vreneli Pfyl und das beliebte Trio «Geschwister Schmid» besonderen Erfolg hatten. Bäumi liess es sich nicht nehmen, hin und wieder ein wenig Jazz einzufügen: ein paar echt swingende Takte des Trompeters Alberto Quarella oder des Klarinettisten Ernst Höllerhagen.
Zurückgezogen vom Trubel des Musikgeschäftes starb Walter Baumgartner am 3. Oktober 1997 in Zürich. Er hinterliess seine Ehefrau Helen Vita und zwei Söhne. Während der Dreissigerjahre war Bäumi ein wichtiger Exponent des Swingjazz in der Schweiz. Er bleibt uns unvergesslich.
Dieses Portrait basiert hauptsächlich auf den Notizen, die unser leider zu früh verstorbene Freund und Mitgründer des swissjazzorama, Otto Flückiger, gesammelt hat.
Jimmy T. Schmid
SENSATION
Magnolians, 1934-feat. Eddie Brunner, ts,
Walter Baumgartner, leader