* 2.Mai 1927 – † 26. Februar 2001
In unseren bisherigen Portraits stellten wir immer voll engagierte Musiker vor. Doch Ernie Büchi, dem wir uns diesmal zuwenden, spielte zwar sporadisch auch als Bassist oder Drummer mit Amateur- oder Profibands. Mit Leib und Seele war er jedoch als Plattenverkäufer oder als Gründer eines Jazzclubs dabei. Damit leistete er für den Jazz Ausserordentliches. Mit 70 setzte sich Ernie hin und schrieb einen Lebenslauf, an dessen Inhalt wir uns beim Schreiben dieses Monats-Portraits nun weitgehend informieren können.
Alles begann in Bern
Ernst «Ernie» Büchi kam am 2. Mai 1927, also während der Jahre, die man in Amerika als «Jazzage» bezeichnete, in Bern zur Welt. Ob diese Jazzage-Sache etwas mit Ernies ausserordentlicher Affinität zum Jazz zu tun hat, lasse dahingestellt. Sicher ist, so beschreibt er es in seinem kurzen Lebenslauf, dass er ein sehr musisch empfindsamer Junge war, der schon bald von jeder Art Musik – inklusive Mozart – fasziniert war, so dass er seine Eltern bald von der Wichtigkeit überzeugen konnte, ihm einen kleinen Radio zu kaufen. Hauptsächlich mittels deutscher Sender gab’ s hin und wieder die Musik zu hören, die später in seinem Leben zur Hauptsache bestimmt war. Allerdings nicht in einer besonders authentischen Art, aber immerhin, Ernie erinnert sich, die deutschen Tanzorchester seien gar nicht schlecht gewesen.
Schuljahre
Ernies Primarschulzeit begann im Frühjahr 1934. Seine Lehrerin war eine ältere ledig gebliebene Dame. Da er wegen seiner sehr schlechten Augen das an die Wandtafel Geschriebene nicht lesen konnte, drangsalierte sie ihn mit Ohrfeigen. Mit einer Konsultation eines Augenarztes und einem Wechsel des Lehrers hatte sich sein Status als Schüler verbessert. Doch als er von einer Kur in Davos nach fast sechs Monaten zur Schule zurückkam, gab es wegen Nichtigkeiten grossen Streit. Aufgrund weiterer Schilderungen dieser Art wird man den Eindruck nicht los, dass es vor allem seiner schlechten Augen wegen schulische Erfolge nur sehr selten gab.
KV-und Band-Erfahrungen
Nach der Primarschulzeit startete Ernie eine Lehre als Kaufmann (KV), aber seinen Kopf hatte er nicht bei Soll und Haben-Problemen, sondern beim Jazz und seinen Interpreten. Im Musikhaus Bestgen kaufte er regelmässig die Jazzzeitschriften METRONOM und DOWN BEAT. Wenn sich die Leute wegen einer Jazzfrage in die Haare gerieten, hiess es bald einmal «Nie verzagen, Ernie fragen».
Durch einen Schulkollegen im KV kam Ernie zum Spielen des Kontrabasses. Dieser Kollege spielte Klavier, sein Vater war ein berühmter Bassist. Als er Ernie anlässlich eines Besuches einen Slowfox vorspielte und Ernie ihn auf einem Bass seines Vaters begleitete, waren beide vom guten Zusammenspiel überrascht. Ernie war sozusagen ein Naturtalent. Er spielte nach seinem Gehör mit einem ausserordentlichen Drive, nach dem Prinzip «learning by doing», so dass er nach kleinen Abstechern mit Amateuren sogar bei der Profiband des Baslers Max Strittmatter landete. Als im KV ein Schulorchester gegründet wurde, wollte Ernie eigentlich lieber ans Schlagzeug. Einen Schlagzeuger gab es schon, aber ein Bassist fehlte noch. Das war Ernies Chance, sich an diesem Instrument zu etablieren.
Übrigens, mit einer Amateurband gab’s ein Engagement im Berner Oberland. Ein Schneesturm sollte eine rechtzeitige Rückkehr an den Arbeitsplatz in Bern verhindert haben. Resultat: Ernie flog aus der Lehrstelle (seine Worte).
Jelmoli Zürich
Um einen Job zu suchen, verlegte der junge Ernie sein Domizil hin zur grössten Schweizerstadt, nach Zürich. Auf der Suche nach einer Arbeit stiess er bei Jelmoli in der Schallplattenabteilung auf einen alten Freund. Der konnte ihm glücklicherweise sagen, Ernie sei absolut im rechten Moment gekommen: der Jazzspezialist der Plattenabteilung habe gekündigt. Ernie sprach bei der Abteilungschefin vor – und kriegte den Job. Doch das Glück war nur kurz. Obwohl er sich zum Verkäufer ausbilden liess und sich viel Mühe gab, wurde er einige Male versetzt. Das ging bis zur Spielwarenabteilung, wo er von einer älteren Verkäuferin schikaniert wurde. Als Madeleine, seine Frau, davon Zeugin wurde, empfahl sie ihm, sofort seine Sachen zu packen und zu kündigen.
Musik Hug und Bemühungen in Richtung MONDAY DATE JAZZ CIRCLE
Musik Hug an der Füsslistrasse in Zürich suchte einen Spezialisten für die Jazzabteilung. Ab dem 1. Dezember 1969 hiess dieser Mann Ernst Büchi, vom Leben als Dancing-Berufsmusiker hatte er die Nase voll. Er wollte sich nun auf seinen Beruf als Plattenverkäufer konzentrieren.
Im Januar 1970 wurde Ernie Mitglied des Jazz und Blues Clubs Zürich. An einer Plattensession in einem kleinen Saal des Restaurants «Weisser Wind» beklagte sich Alfons Wickart, der damalige Präsident des Clubs, nur wenig Mitglieder kämen zu den Plattenvorträgen. Er bat Ernie um einen Rat. Den konnte er geben. Viele seiner Kunden bei Musik Hug würden sich freuen, an eine Plattensession zu kommen und eventuell Mitglied zu werden. Er würde gerne ein wenig die Werbetrommel rühren. Das tat nun Ernie auch, und man wählte ihn zwei Monate später als «Beisitzer für Propaganda» .
Ernie verliess diesen Club jedoch bald wieder, denn die stilistische Ausrichtung bei der Programmgestaltung war ihm zu engstirnig: Die Philosophie des französischen Jazzpapstes Hugues Panassié, nach der die Entwicklung der Jazz genannten Musik 1946 zu Ende ging, war strikte zu beachten: Viel Dixieland und Swing, aber kein Bebop. Jazz ohne Parker und Gillespie? Da wollte Ernie nicht mehr länger dabei sein.
Er gründete mit Hilfe von Madeleine, seiner Frau, einen neuen Jazzclub, den Monday Date Jazz Circle, dessen Sessions immer am Montagabend stattfinden sollten. Einige Jahre amtete er als Präsident und arbeitete an der Gestaltung der Programme, die alle Stile des Jazz und gelegentlich auch Livemusik kleinerer Bands umfassten. Ernies Konzept hat sich bewährt. 24 Jahre nach seinem endgültigen Weggang von der Welt werden die Sessions immer noch mit Erfolg durchgeführt. Ein Link zum swissjazzorama besteht, weil unser Fernand Schlumpf immer wieder Tonträger aus unserem grossen Fundus auswählt und damit attraktive Programme zusammenstellt.
Letzte Jahre
Ernies letzte Jahre waren geprägt von Auftritten mit kleinen ad hoc-Formationen, bei denen er am Schlagzeug sass. Er hielt aber auch einige sehr gute Vorträge über Musiker, so z.B. im April 99 über Stan Kenton and his Progressiv Jazz im Musikcontainer Uster. Um Ihnen einen deutlichen Eindruck von dieser Musik zu vermitteln, von deren Wert Ernie überzeugt war, haben wir zwei Nummern der LP «Stan Kenton, Artistery in Rhythm» hier auf Audio eingespielt: «Young Blood» von Gerry Mulligan und «Frank Speaking» von Bill Russo.
Ernst «Ernie» Büchi starb am 26. Februar 2001 in Zürich. Madeleine, seine Frau war bei ihm. Ohne ihre Hilfe hätte er vieles in seinem Leben nicht erreichen können. Ernie war ein echtes Jazz-Original. Er bleibt uns unvergesslich.
Jimmy T. Schmid