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Dorothy Donegan, Makin' Whoopee / Warzaw Concerto (live at the Widder Bar), December 1986
Eddie "Lockjaw" Davis, Lock goes Latin (recorded at Powerplay Studios, produced by Arnold Burri), 02.03.1981
Paul Thommen Sextet + Sound Machine, The Widder Bar (Umberto Arlati), 1993

Original-Partitur von "The Widder Bar", komponiert von Umberto Arlati >>>

 

Arnold Burri, * Bern, 29.05.1940, † Zürich, 24.11.2015

Konzertveranstalter, Hotelier (Widder Bar, Zürich) 

Archivdaten der Widder Bar >>>

Der Ort, wo die Feelings sind

Als den „besten Jazz-Club“ der Welt bezeichnete der Pianist John Lewis, Vordenker des legendären „Modern Jazz Quartet“, die Widder Bar nach einem Auftritt euphorisch. Und der erst kürzlich verstorbene amerikanische Schlagzeuger Shelly Mann notierte ins Gästebuch, in dem eine ganze Galerie von Giganten des Jazz in Handschrift und Foto versammelt ist: „Die Musiker sollten dafür bezahlen müssen, dass sie hier spielen dürfen.“ Der Bassist Red Mitchell seinerseits schrieb in einem der dicken Bände vielsagend: „Hier ist der Ort, wo die Feelings sind.“

Wo die Feelings sind, da sind immer auch die Musiker. Die Gästebücher der Widder Bar jedenfalls gleichen einem Streifzug durch die Geschichte des Jazz zwischen Swing und Cool – ein «Who's who?», in dem kaum einer der grossen Namen fehlt. Das eigentliche Jazz-Festival Zürich, so jedenfalls witzelte ein Sound-Freak, habe während des Oktobers in der Widder Bar stattgefunden. In einem einzigen Monat spielten ein Quintett mit Eddie „Lockjaw“ Davis und Johnny Griffin, in dem die Tenorsax-Schlachten des Bebop-Zeitalters fortleben, ein Allstar-Traumquartett mit dem Meistervibraphonisten Milt Jackson, Cedar Walton, Ray Brown und Mickey Roker, Jimmy Smith mit seiner kochend heissen Hammondorgel, oder ein Quintett mit den Superbläsern Thad Jones und Jerome Richardson.
„In der Widder Bar stimmt die Ambiance, und deshalb spielen auch die grossen Stars beinahe nie bloss lieblos und ohne Engagements ihre Sets“, sagt Arnold Burri, der Fan, der für die Musiker mehr Vater und Freund als Veranstalter sein will und ist: „Für die Musiker soll die Widder Bar ein Zuhause sein, ein Ort, wo sie sich wohlfühlen können und das Publikum auch zuhört und sie ernstnimmt.“
Ebenso selbstverständlich, wie Arnold Burri die Musiker väterlich und kaum eines der Widder-Konzerte verpasst, arbeitet er mit Handschlag: „Verträge gibt es bei mir nicht.“ Ausgenutzt sei seine Gutmütigkeit bis jetzt noch nie. Die Kehrseite des wahnwitzigen Ehrgeizes, alles von der Programmierung über die Musikerbetreuung bis zum Soundcheck selber machen zu wollen: Der 44-jährige Wirt und Jazz Freak bringt während der Konzertsaison von September bis Juni durchschnittlich nicht einmal vier Stunden Nachtruhe zusammen. «Manchmal bin ich schon am Ende meiner Kräfte», gibt er zu, «aber es packt mich immer wieder, die Konzerte sind für mich auch ein bisschen eine Sucht. Ich habe alle diese Musiker einmal bewundert, ihre Platten gehört und geträumt, sie zu sehen. Und jetzt spielen sie hier in meiner Bar und sind meine Freunde.» Wie weggeblasen ist plötzlich die Müdigkeit, wenn er zu fabulieren und zu erzählen beginnt, sich Anekdoten und Geschichten aneinanderreihen.

Wenn ihm die Luft zu stickig wird, zieht er sich in den Keller zurück, wo er mit Tonbandgeräten, einem Mischpult und Verstärkern ein nahezu für professionelle Ansprüche geeignetes Kleinstudio aufgebaut hat. Dank einigen in der Bar aufgestellten Mikrophonen, deren Kabel direkt in den Keller führen, kann Arnold Burri hier die meisten der Konzerte fast in Schallplattenqualität hören und aufnehmen: Eine ganze Reihe von Kassetten hat sich im kleinen Tonstudio im Lauf der Zeit angesammelt - Live-Aufnahmen, die manch ein Tonpirat noch so gern für Schallplatten-Raubpressungen benützen würde. «Fast alle Musiker erlauben mir diese Aufnahmen, weil sie genau wissen, dass ich sie nie herausgebe», beteuert Arnold Burri. Nicht einmal seinen engsten Freunden leiht er die Kassetten aus. Aber er steigt mit ihnen in den Keller, wo zwischen Vorräten und Harassen hie und da eine kleine Runde verschwörerisch die Ohren für Aussenstehende verschlossenen Sound-Schatztruhe offenhält.

(Hanspeter Vetsch, Züri Woche, 06. Dezember 1984)

Eine Tygerpython im 5. Stock

Unzertrennlich mit der Widder Bar ist der Name Arnold Burri verbunden. Ohne die Anstrengungen dieses Wirtes wäre Zürich, und damit die Musikbar an der Widdergasse 6, nie zum Mekka für den Jazz geworden, das es heute ist. Koryphäen wie Stan Getz, Art Blakey und seine Jazz Messengers gaben schon Konzerte im dunkelroten Plüschlokal. Privat lebt der heute 48-jährige gelernte Hotelier beinahe nur für den Jazz.
Arnold Burri, Sohn einer Gstaader Hoteliersfamilie, kam 1963 aus beruflichen Gründen in die Limmatstadt. «Ich verbrachte schon als Kind viel Zeit in Zürich, da meine Mutter eine Stadt-Zürcherin ist.» In allen Bereichen des Hotel- und Gastgewerbes hat er schon gearbeitet, im Service wie in der Buchhaltung, und unter anderem stand er dem «Glockenhof» als Personalchef vor.
Den Weg zum Jazz fand er über einen Plattenverkäufer in Gstaad: “Aus den Lautsprecherboxen des Geschäfts ertönte Erroll Garner. Ich hatte nie zuvor solche Musik gehört; sie gefiel mir und ich erwarb mir Garners 'Concert by the Sea'“, erzählt Burri in seinem Berner Dialekt. Mittlerweile sind 69 weitere Platten desselben Musikers in «Noldi» Burris (so nennen ihn seine Freunde) Sammlung hinzugekommen.
Freizeit, die gibt es für ihn eigentlich nicht. «Ich arbeite 7 Tage in der Woche, 20 Stunden pro Tag. Mein Hobby ist mein Beruf.» Neben der Organisation von Konzerten muss er sich auch den Sorgen seiner Angestellten widmen und das Restaurant führen. «Ich brauche nicht mehr als vier Stunden Schlaf. Grundsätzlich sollte niemand länger als sieben Stunden in den Federn liegen. Zuviel Schlaf ist ungesund», philosophiert der Wirt.
Neben seiner Liebe zum Jazz pflegt Burri noch zwei weitere Leidenschaften: Reptilien und Basteln. In seiner ehemaligen Wohnung im fünften Stock, in der er auch jetzt noch manchmal übernachtet, wenn's später wird, hält er eine Tigerpython. Noch vor zehn Jahren hegte und pflegte er fünf solcher Schlangen. «Heute hab' ich nur noch eine.» Dreieinhalb Meter lang ist das Reptil; das Terrarium hat er selbst geschreinert.
Durch den definitiven Baubeschluss für ein Hotels an der Widdergasse ist das Ende der Widder Bar besiegelt worden, doch Burri sagt: «Ich wäre der letzte, der gegen diesen Entscheid Einspruch erheben würde. Als ich mein Lokal am 10. März 1975 eröffnete, hiess es, ich könne anderthalb Jahre bleiben. Mittlerweile sind es bereits 13. Ein Vorgehen gegen diesen Bauentscheid von meiner Seite wäre unfair.»

(Christine Kunovits, Tagblatt der Stadt Zürich, 09. September 1988)

Bei Erroll Garner hat es Klick gemacht

Das Programm der Widder Bar ist von hochkarätigen Namen geprägt: In der folgenden Woche spielen John Lewis, Art Blakey & The Jazz Messengers und das Benny Golson Quartet. Mit Widder-Wirt und Programmacher Arnold «Noldi» Burri sprach Johannes Anders.

"Es gibt auf der ganzen Welt bestimmt keinen Ort, auch nicht in New York, der innert kurzer Zeit so viele internationale Jazzstars gehabt hat wie wir hier im Widder, das gibt's wirklich nirgends.»
Nicht nur Musiker, auch Jazzfans und Kenner der internationalen Szene bestätigen, dass Burri nicht übertreibt. Überhaupt phänomenal, wer innerhalb der dreieinhalb Jahre seit Beginn der regelmässigen Widder-Jazzkonzerte schon alles hier zu hören war: Eine fast unglaublich anmutende All-Star-Parade, gekrönt von Namen wie Stan Getz, Dizzy Gillespie, Milt Jackson, Ray Brown, Jimmy Smith und John Lewis.
Arnold Burri: Restaurateur im historischen Widder, bekanntes Zürcher Restaurant für «kulinarische Kostbarkeiten» mit vier gediegenen Räumen plus antik-atmosphärischer Bar, verantwortlich für 28 bis 30 Angestellte, hohen Qualitätsstandard aus Küche und Keller, natürlich für die anspruchsvollen Gäste, und daneben gleichzeitig Organisator, Programmacher, Tonmeister, Musikerkontaktmann und –betreuer, Finanzchef, Büromensch, Werbemann sowie eigener Gestalter, Setzer und Drucker der Plakate, Programmhefte, Inserate und Infos eines der weltweit attraktivsten Jazzklubs!

(Johnannes Anders, Züritip, 08.März 1985)

Ein Höhepunkt der Zürcher Jazzgeschichte

Sozusagen im Einmannbetrieb brachte Arnold Burri die Grossen des Jazz - ihre Porträts waren hinter der Bartheke Trophäen-ähnlich aufgereiht - in die Widder Bar nach Zürich.

Weltklasse in der Zwinglistadt

Die Widder Bar an der Widdergasse 6, ein nostalgisches Plüschlokal, avancierte ab 1980 zu einem Treffpunkt in- und ausländischer Jazzprominenz von europäischer Bedeutung. 1989 wurde sie für sechs Jahre geschlossen. In dieser Zeit entstand das luxuriöse Widder-Hotel, in das sie in leicht veränderter Form wieder integriert wurde. In gut dosiertem Mass ist hier auch heute wieder Jazz zu erleben.

Ära Arnold Burri

Was der Gstaader Hoteliersohn Arnold Burri, von 1974 bis 1989 Pächter im Restaurant und Bar des Widders, in den letzten neun Jahren seines dortigen Wirkens zustande gebracht hatte, muss als das «Zürcher Jazzwunder» bezeichnet werden. 444 ausländische und 177 einheimische Musiker aus den Bereichen Swing, Mainstream, Bebop und Hardbop machten «Jazz at the Widder Bar» europaweit zum Begriff, die Zwinglistadt staunte. Fast die gesamte Garde der amerikanischen Stars war vertreten. Nur ein gutes Dutzend, darunter Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan, Oscar Peterson, Miles Davis, Lionel Hampton, Gerry Mulligan, Dave Brubeck und George Shearing, fehlen im Widder-Gotha. Der Floh ins Ohr gesetzt wurde Burri, der in Sachen Jazz kaum Erroll Garner und der «Glenn Miller Story» entwachsen war, vom Zürcher Künstler Alexander Jeanmaire. In diesem Lokal, fand dieser, könnte man den Reigen der Barpianisten durch sonntägliche Jazzmatinées mit hiesigen Musikern etwas aufmöbeln. Der Start erfolgte am 8. Juni 1980. Bereits am 17. August wurde es dank dem Bassisten Jimmy Woode und dem Drummer Kenny Clarke erstmals international. Ab März 1981 gehörten Ausländer, wie etwa der Bassist Ray Brown oder der Saxofonist Eddie «Lockjaw» Davis zur Sonntagesordnung. Wochentage wurden eingeschaltet, was Burri bald vor die Entscheidung «alles oder nichts» stellte. Er wollte die Gäste, die der Barpianisten wegen gekommen waren, nicht mit Synkopen brüskieren und entschied sich für «alles».

Wieviel Jazz soll‘s in Zürich denn sein?

Dass der Jazz von Grund auf ziemlich unrentabel ist, musste auch Burri erfahren. Grosse Werbekosten waren für ihn, der in den ersten Jahren von aussen mit keinem Franken unterstützt wurde, unrealistisch. In Sachen Zürcher Jazzfans aber hatte er sich verrechnet. Erstens kreuzten sie nicht in erhoffter Zahl auf, zweitens machten nur wenige von der Möglichkeit Gebrauch, vor dem Konzert im Widder-Restaurant zu speisen. Selbst beim Ansetzen der Eintrittspreise tat er sich schwer. War dieser zu tief, interpretierten die Leute dies mit minderer Qualität und kamen nicht. Und endlich wird die Frage, wieviel Jazz unsere Stadt verträgt, nie schlüssig beantwortet werden können; für manche war das Widder-Programm mit sieben Tagen Jazz in der Woche fast inflationär. 1986 musste Arnold Burri aus finanziellen Gründen den Jazzbetrieb einstellen. Dass die Zwangspause nur vier Monate dauerte, ist dem Zürcher Chirurgen Dr. Christoph Krähenbühl zu verdanken. Dieser kulturell sehr engagierte Mann gründete einen Gönnerverein, dem viele Jazzfreunde beitraten. «Trotz dieses Zustupfs reichte es natürlich immer noch nicht, aber ich konnte es mehr oder weniger verantworten», meint Burri. Das endgültige Aus kam Ende April 1989. Stellvertretend für die Klasse dieses Jazz-Mekkas bestritten Dizzy Gillespie, Clark Terry, Harry «Sweets» Edison, Ray Brown und Gene Harris diese Kehraus-Gala! Dass dereinst der Widder in ein Hotel umgewandelt würde, wusste Burri seit seinem Amtsantritt. Die Sache zog sich zwar in die Länge, doch legte er grossen Wert auf die Feststellung, dass er von der SBG als Besitzerin korrekt und rechtzeitig auf diesen Moment vorbereitet wurde.

Ende einer denkwürdigen Epoche

Für Arnold Burri ging eine denkwürdige Epoche zu Ende. Vorbei die Zeit, in der er fast eine Jahrzehnt lang aufs Damoklesschwert schielen, sich als Zauberlehrling vorkommen, auf Ferien verzichten und als Mädchen für alles fungieren musste. Da gab‘s immer wieder dringende Überseetelefonate zu erledigen, Werbeprospekte zu konzipieren, Bewilligungen einzuholen und, last but not least, Musiker zu betreuen. «Ausser dem finanziellen Fiasko habe ich nichts bereut», gesteht er heute. Die Musiker bescherten ihm eine aussergewöhnliche Zeit. Viele Beziehungen zum Ausland bestehen noch immer, denn den «Man from Zurich», wie sie ihn nannten, vergisst man nicht so leicht! Erschütternd der Moment, als der todkranke Saxofonist Stan Getz, seines nahenden Endes gewiss, von ihm aus den USA telefonisch Abschied nahm, willkommen der Umstand, dass viele der Stars die Freundschaft auch in Freundschaftspreise ummünzten, zumal sie ja hier spielen wollten! Übrigens hat der Mann mit dem harten Bernerschädel mit keinem Musiker je einen schriftlichen Vertrag gemacht und wurde nur ein einziges Mal enttäuscht.

(Ueli Staub, Jazzletter, Nr. 8 April 2003)

Die «Widder Bar» lebt im Aargau weiter.

Der gebürtige Berner Arnold Burri schrieb 1980 bis 1989 ein funkelndes Kapitel Zürcher Jazzgeschichte. Heute hütet er im Aargau das Vermächtnis von «Jazz at the Widder Bar». Das swissjazzorama hat Noldi besucht und seine audiovisuelle Schatztruhe in Hirschthal besichtigt.

Stars und «Local Heroes»

Mit «Jazz at the Widder Bar» ereignete sich ab Sommer 1980 bis 1986 und nach einer viermonatigen Zwangspause bis April 1989 ein veritables Zürcher Jazzwunder: Die Statistik verzeichnet 444 ausländische Stars und 177 Exponenten der helvetischen Szene, die das «Widder»-Parterre während eines knappen Jahrzehnts in einen international beachteten Kraftort für Swing und Mainstream, Bebop, Latin und Hardbop verwandelten. Jazzfans wie der Zürcher Maler Alexander Jeanmaire, der damals am Rennweg ansässige Kontrabassist Rolf Cizmek und der aus Polen in die Schweiz übersiedelte Saxofonist/Klarinettist Richard Lipiec gaben die Initialzündung, und Burri setzte ihre Ideen mit wachsendem Enthusiasmus in die Praxis um. Was am 8. Juni 1980 im Rahmen einer Sonntagsmatinee mit «Local Heroes» begann, rief schon zwei Monate später die erste Garde auf den Plan: Nach einem ersten Gastspiel von Bassist Jimmy Woode und Drummer Kenny Clark entwickelte sich das kleine Jazz-Mekka in Zwingli-Town mehr oder minder zum Selbstläufer. Für permanenten Musikernachschub war keine professionelle Agentur besorgt, die Jazzgrössen aus Europa und USA programmierten sich gewissermassen selbst. Sie kamen überaus gerne und – ohne schriftlichen Vertrag – pünktlich zu Noldi Burri, der für viele Jazzer zum väterlichen Freund, grosszügigen Betreuer und uneigennützigen Gastgeber avancierte. Das jazzmusikalische Abenteuer kostete eine hübsche Stange Geld für Verpflegung, Beherbergung, Hol- und Bringfahrten, Transatlantikflüge, Telekommunikation und anderes mehr. Nach sechs aufwendigen Jahren war Arnold Burris «Hobby-Kässeli» leer. Ein kurzfristig gegründeter Gönnerverein verlieh dem Konzertkarussell nochmals während dreier Jahre Schwung – mehr lag einfach nicht drin, zumal die Stadt Zürich, die vom Renommee des Jazzstandorts «Widder» kulturell und touristisch profitierte, sich materiell eher von der spröden Seite zeigte. Ende April 1989 fiel der Schlussvorhang: Dizzy Gillespie, Clark Terry, Harry «Sweets» Edison, Ray Brown und Gene Harris spielten die Coda zur aufregendsten und ungewöhnlichsten Episode im Leben des Hoteliers Arnold Burri.

Gstaad – Lausanne – Schweden – Russland

Heute lässt Noldi, mit dessen Gesundheit es nicht zum Besten steht, seinen Alltag ruhiger angehen. Fern von städtischem Ambiente, im aargauischen Hirschthal, bewohnt der mittlerweile Dreiundsiebzigjährige mit Gattin Fränzi ein hübsches Haus. Die Vortragstouren zu Jazzclubs sind passé, der alljährliche Versand eines Kalenders mit bunten Erinnerungsbildern aus dem «Widder» ist eingestellt. Aber allgegenwärtig begleitet swingender Jazz aus einem gigantischen Tonträgerfundus die Burris durch den Tag, und ab und an keimt auch die Lust zum Besuch eines Jazzkonzerts. Wenn alte Freunde in Hirschthal auftauchen, weichen schnell die Nebel des Vergessens. Einen respektablen Teil der Burri-Liegenschaft nimmt die enorme audiovisuelle Ernte von neun Widder-Jazz-Jahren ein: Porträtbilder der Musiker mit Widmungen, Videos von einzigartigen Konzertabenden, vor allem aber ein riesiger Bestand an Live-Mitschnitten, die Noldi im Einverständnis mit den auftretenden Musikern privat erstellte. Interessiert hat bei dieser Begegnung aber nicht nur die heisse Widder-Phase, sondern Arnold Burris ganzes Curriculum. Noldi kam 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, in Gstaad zur Welt – nicht in einer Klinik, sondern im Hotel «National», das den Eltern gehörte. Für ihre Kinder konnte sich die Hotelierfamilie nur selten Zeit nehmen – Kindermädchen, Schul- und Internatslehrer übernahmen einen substanziellen Teil der Erziehung. Gleichwohl wirkte die Berufswelt der Eltern prägend: Der junge Berner absolvierte die Hotelfachschule in Lausanne. Ein Praxisjahr im Service eines schwedischen Luxushotels schloss sich an, verbunden mit einem Abstecher ins damals kommunistische Russland, dessen Metropole Moskau Noldi durch Vermittlung eines Hotelconcierges auf unkonventionelle Weise kennenlernte. Nicht ins konventionelle Muster passte auch das, was Arnold Burri nach seiner Heimkehr tat. Das Etablissement der Eltern reizte ihn wenig. So kam es, dass das Gstaader «National» bald einmal verkauft und durch eine Überbauung mit Eigentumswohnungen ersetzt wurde. Noldi ging eigene Wege, die ihn vorerst nach Luzern führten, wo er – als jüngster Hoteldirektor vor Ort – die Leitung des «Metropol» übernahm. Seine nächste Station hiess «Freihof» und befand sich in Erlenbach am Zürichsee. Doch der Lebenslauf tendierte, wie das Wetter, weiterhin auf «veränderlich»: Noldis erste Ehe ging zu Bruch, und von Erlenbach ging’s weiter nach Zürich, wo die Pacht des «Widder» lockte. Der Rest ist bekannt.

Ungehobene Schätze

An die meisten «seiner» Jazzmusiker erinnert sich Arnold Burri mit positiven Gefühlen. Einer hat ihn besonders tief beeindruckt: «Das ist – als Musiker wie als Mensch – ganz klar der Bassist und Grandseigneur Ray Brown», urteilt Noldi und fügt bei: «Die Nachricht von seinem frühen Tod stimmte mich ausserordentlich traurig.»
Ein häufiger und gern gesehener Gast auf dem «Widder»-Bandstand war auch Tenorsaxofonist Eddie «Lockjaw» Davis, der zu Beginn der achtziger Jahre im damals für Live-Jazz und -Blues bekannten «Limmatquai 82» verkehrte und als einer der ganz grossen Cracks aus dem Count Basie-Umfeld schnell die Chance wahrnahm, auf die andere Flussseite ins neue Eldorado für hochkarätigen Jazz zu wechseln. Aus den Davis-Live-Einspielungen im «Widder» filterte Arnold Burri das Material für zwei Langspielplatten. Diese beiden hervorragenden LPs sind nach wie vor erhältlich – als einzige Veröffentlichungen aus der enormen Fülle privater «Widder»- Aufnahmen übrigens. Gegen eine systematische kommerzielle Nutzung dieses einzigartigen Tresors sprachen zunächst die juristischen Bindungen mancher Jazzmusiker an bestimmte Labels, aber auch Noldi Burris Fairness, die ihn bis heute daran hindert, auf halblegalen Wegen und unter Verweis auf nicht mehr relevante Stillhaltefristen aus den Mitschnitten Kapital zu schlagen. «Ein Stück weit war ich gebunden durch Versprechen an jene Musiker, die unter Exklusivvertrag standen», erklärt Noldi heute. Und ergänzend gesteht er: «Die öffentliche Werbewirkung meiner Widder-Jazz-Juwelen hat mich eigentlich nie interessiert. Ich wollte Restaurant und Jazz stets auf getrennten Schienen halten.» Aus heutiger Sicht sind wohl auch Zweifel angebracht, ob sich noch Firmen finden würden, die den Mut aufbringen, die akustischen Archivschätze aus dem Hause Burri integral zu heben und in den Handel zu bringen. Bessere Realisierungschancen hätte demgegenüber vermutlich ein schöner Fotoband mit Bildern von Session-Highlights aus dem «Widder». Er wäre das ideale Nostalgiegeschenk für jene immer noch zahlreichen Jazzfans, die zwischen 1980 und 1989 begeistert Arnold Burris Bar bevölkerten.

Noldis musikalische Lehrjahre

Aber ob mit oder ohne Erinnerungsbrücken: In den Köpfen dieser Zeitgenossen ist die Episode «Jazz at the Widder Bar» unauslöschlich präsent. Die damaligen Gäste erinnern sich an das kollegiale Klima, das positiv auf die Musik einwirkte. Die Musiker ihrerseits – besonders die Amerikaner – waren stets angetan vom «Genius loci» und kamen immer wieder gern an den Zürcher Rennweg zurück. Ein ergreifendes Zeugnis für die tiefe menschliche Bindung mancher Stars an den generösen Gastgeber Burri lieferte der todkranke Stan Getz, der 1991, vom Leberkrebs und einem in keiner Phase einfachen Leben gezeichnet, bei Noldi anrief und sich für die schönen Stunden im «Widder» bedankte. Und wofür ist Arnold Burri dankbar, wenn er Rückschau hält? – «Nicht zuletzt für die Tatsache, dass ich ein musikalischer Laie war, als ich mit dem Jazz anfing, im Lauf der Jahre aber dazulernte und mir zuletzt ein differenziertes Urteil in einem breiten Stilspektrum des Jazz erlauben konnte.»

(René Bondt, Jazzletter Nr. 28, August 2013)

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Zusammengestellt von Thomas Schärer