All the Cats join in (1947)
Doin‘ what comes natur‘lly  (1947)
Chattanooga Choo Choo (1942)
Minnie from Trinidad  (1942)

Eddie Brunner & die Original Teddies mit Phyllis Heymans

Phyllis Heymans, *Peking, 23.01.1919, † Basel, 20.11.1988

Archivdaten von Phyllis Heymans >>>

Vocals, Tanz, Ukulele, Piano, Schlagzeug, Gitarre

Phyllis Heymans kam auf Umwegen über Holland in die Schweiz, wo sie sich bis zu ihrem Ableben aufhielt. Während ihrer Tätigkeit bei den Bigbands Lanigiro, Original Teddies und The Berry's wurde sie zum Publikumsliebling der helvetischen Unterhaltungsbranche. Ein Unfall mit einem nachfolgenden verpatzten chirurgischen Eingriff führte ihre musikalische Laufbahn zu einem jähen Ende. Phyllis Heymans begann ihre hiesige Karriere bei Walter Baumgartner im Zürcher Corso Theater, 1940 trat sie der neu formierten Lanigiro Band bei, wechselte bald zu Teddy Stauffers Original Teddies. Später finden wir sie bei den Berry's, bei Achille Christen und als Attraktion bei verschiedenen Anlässen.

(Otto Flückiger, Fonoteca Jazzbiografien)

Zum Gedenken an Phyllis Heymans

Die Jazzsängerin Phyllis Heymans, ein Begriff für alle Liebhaber swingender Schweizer Tanzmusik der vierziger Jahre, ist im 71. Lebensjahr gestorben.
Peking war ihr Geburtsort, die Mutter englischer, der Vater holländischer Abstammung, von Beruf Musiker. Nach der Jugendzeit in dieser an- und aufregenden Atmosphäre schloss sich noch ein Aufenthalt in Indochina an, bevor die endgültige Umsiedlung nach Basel erfolgte. Der Ankunftstag, Fasnacht 1930, blieb ihr unvergessen, da sie sich seit diesem Datum zeitlebens als Baslerin fühlte. Schon als Ballettschülerin des Basler Stadttheaters wurde ihr musikalisches Talent offensichtlich, zudem erlernte sie noch den Stepptanz. Doch die Hauptbegabung lag im Singen, ihre Karriere begann als Jazzsängerin bei dem Basler Jazz- und Tanzorchester Lanigiros, das bereits internationalen Ruf besass. Eddie Brunner, Chef der Original Teddies nach Teddy Stauffer Weggang, gelang es später, Phyllis für seine glanzvolle Big Band zu gewinnen. Dutzende von Schallplattentiteln konnte die um diese Zeit schon berühmte Sängerin einspielen.
Der grosse Erfolg von Phyllis beruhte auf ihrer einzigartigen, natürlichen Ausstrahlung ohne jegliche Starallüren. Bei Revuen brillierte sie auch als Stepptänzerin, so dass man ihre Auftritte heute als Entertainerin bezeichnen würde.
Als die Big Band-Ära in der Schweiz zu Ende ging, wirkte sie im Cabaret Cornichon und auch in Musicals in Holland mit. Im China Restaurant Red Ox in Basel fand sie eine neue Aufgabe, wo sie sich dank ihrem polyglotten Wesen wohlfühlte. Ein brutaler Schicksalsschlag, eine halbseitige Lähmung mit Sprachverlust, riss sie jäh aus dem Berufsleben. Mit bewundernswerter Energie überwand Phyllis diese fast aussichtslose Situation. Ihre mühseligen Versuche, wieder gehen und sprechen zu können, waren schliesslich von Erfolg gekrönt. Ihre positive, tiefgläubige Lebensauffassung wirkte direkt ansteckend auf ihre Umgebung. Das fröhliche Lachen, ihr breites, charmantes englisch-holländisch gefärbtes Baseldeutsch war einmalig. Phyllis Heymans hat mit ihrer Kunst Tausende erfreut. Ihr liebenswerter Charakter und ihr leuchtendes Beispiel menschlicher Grösse wird nicht vergessen werden.

(Nachruf von Ernst W. Buser, 1988)

Eigentlich wollte sie Modezeichnerin werden, doch sprang sie eines Tages für ihre Schwester ein im Ballett des Stadttheaters. Modezeichnerin war daraufhin vergessen und Tänzerin wurde während drei Jahren eifrig gelernt, daneben gesungen, Klavier gespielt, sogar das Jazz-Schlagzeug gehandhabt. Eine holländische Revuetruppe engagierte Phyllis Heymans 1937. Ein Jahr hielt sie es dort aus, sang am Radio, sogar mit Coleman Hawkins, dann kehrte sie aus Heimweh zurück, traf mit den Lanigiro-Hot-Players zusammen und fiel eigentlich zum ersten Male richtig auf im „Palais d’attractions“ an der Landesausstellung. Nach zwei Jahren Zusammenarbeit mit den Lanigiros kam das Engagement im Corso-Palais in Zürich und endlich der Übertritt zu den Teddies. Dort fühlt sich Phyllis Heymans wohl; sie lernt viel, singt für Schallplatten und spielt daneben für den Hausgebrauch Klavier, nicht etwa Jazzmusik, sonders ausschliesslich Klassiker wie Bach und Beethoven.

(Unbekannt)

Die „Old Lady“ des Schweizer Jazz

Ich lernte Phyllis Heymans persönlich kennen, als sie 46 Jahre alt war. Sie stand hinter der Theke einer renommierten Basler Bar. Sie war der Mittelpunkt zwischen bekannten Playboys und Geschäftsleuten. Wenn sie allen Gästen ihren Drink gemixt hatte, schritt sie zum Klavier und schmetterte voller Freude und Temperament ihre nostalgischen Songs ins Mikrophon.
Wenig später war Phyllis über Nacht endgültig aus der Bar verschwunden. „Schlaganfall!“ flüsterten die Stammgäste und schlürften gelangweilt ihren Whisky. Das Klavier neben der Theke war verwaist…
Für sie schien alles vorbei zu sein. Sie tröstet sich: „Meine wirklichen Freunde haben mich bis heute nicht vergessen! Ich kenne wunderbare Menschen, die mir immer wieder geholfen haben. Mein ganzes Leben war und ist wunderbar!“
Sie hat sich ihren Optimismus nicht nehmen lassen. Auch damals nicht, als sie in jahrelanger Schwerarbeit wieder hat sprechen und gehen lernen müssen.
Der Alt-Star ist modisch-sportlich gekleidet und trägt eine natürliche Brushing-Frisur. Die Haare lässt sie sich nicht färben, denn „forcierte Jugendlichkeit… ist… lächerlich!“ meint sie. „Zum Glück habe ich heute keinen Gatten!“ lacht die Frau, die zu Teddy Stauffers Zeiten mit ihrer erotischen Stimme und den hinreissenden Marlene-Dietrich-Beinen ganze Heerscharen von liebestollen Männern betört hat.
„Wenn man ein Leben lang die Freuden der Liebe genossen hat, ist man in meinem Alter froh, wenn man seinen Frieden hat!“, ergänzt sie mit schelmischem Augenzwinkern. Dem letzten Lover, einem amerikanischen Piloten, hat Phyllis erst vor kurzer Zeit den Laufpass gegeben. „Aber er lädt mich immer noch zum Essen ein!“
1919 wurde Phyllis Heymans in Peking als Tochter des holländischen Dirigenten des Pekinger Symphonieorchesters geboren. Mit zehn Jahren: Umsiedlung nach Java. Mit zwölf Jahren: Einreise in die Schweiz. Klavierunterricht, Ballettstunden.
Mit 17 Solo-Parts als Tänzerin am Basler Stadttheater. Blick: „Dann waren Sie schon mit 17 ein Star?“ Die bescheidene Phyllis lacht (immer noch sexy): „Konnte man 1935 am Basler Stadttheater ein Star sein? Wir hätten dem heutigen Ballett nie das Wasser reichen können…!“
Mit 18 Jahren Gastspiel in Holland. Dann Sängerin bei den „Lanigiros“, an der Landi 1939.
Blick: „Waren Sie damals sehr in Teddy Stauffer verliebt?“
Phyllis winkt amüsiert ab; „Nein, meine ‚Liebe‘ zu ihm hatte viel früher bestanden, als ich vierzehn war! Ich lernte ihn im Basler Gartenbad Eglisee kennen. Er tauchte mich immer unter Wasser. Wir schmusten stundenlang. Er war 24 Jahre alt und hatte abends seine Auftritte. Und ich Hausarrest!“
Über ihre grosse Jugendliebe sagt sie: „Der schöne Teddy ist halt auch in der Versenkung gelandet…“

(Marc Sommer, Blick, 1978)

Erinnerungen von Phyllis Heymans

(Auszüge aus den unveröffentlichten Memoiren von Phyllis Heymans. Das vollständige Manuskript kann auf Anfrage bei uns eingesehen werden)

Auf hoher See

„Mein Eintritt in diese Welt fand an einem kalten Januartag in Peking statt, begleitet von Raketen und Gongklängen. Es war Chinesischer Neujahrstag!
Mein Vater war Holländer und stammte aus Maastricht, meine Mutter Engländerin, in Kalkutta, Indien, geboren. Vater hatte spanisches Blut in den Adern und Mutter einen Schuss indisches Blut. Meine allererste Sprache war Chinesisch. Später kam Englisch dazu. Es dauerte 4 bis 6 Monate, bis ich die beiden auseinanderhalten konnte. Das ergab ein Trauma mit den Sprachen, das mir heute noch nachgeht.
Mein Vater arbeitete bei einer herumreisenden Kosakentruppe, die meist in einem Zirkus auftrat.

Im zarten Alter, ungefähr vierjährig, hat man beschlossen, aus mir eine Tänzerin zu machen. Meine älteste Schwester Linda war Tanzlehrerin. Mit acht Jahren habe ich meinen eigenen ersten eigenen Solotanz bekommen, er hiess „Sonnenstrahl“. Ich war in gelben Tüll gehüllt mit einer Sonne auf dem Kopf und – Oh Schreck – barfuss.

Kindheit in Peking und Batavia.

Meine liebe Mutter hat mir die ersten Klavierstunden gegeben.
Meine Eltern beschlossen, nach Europa zurückzukehren, und zwar in die Heimat meines Schwagers, die Schweiz. Es war 1930, der kälteste Winter dieses Jahrhunderts.

Die „Saarbrücken“ war unser Schiff für diese lange Reise. In Shanghai schneite es leicht und sogar in Hongkong war das Wetter recht kühl. Ich kann mich an zwei Männer erinnern: Der erste war ein Whisky trinkender englischer Pfarrer, der am Sonntag den Gottesdienst abgehalten hat, der zweite ein charmanter Italiener, Tomasi, sehr gut aussehend und aristokratisch dazu. Er besass einen Haufen gute Jazzplatten, sehr selten in 1930.

Basel

Der Zug fuhr im Bahnhof Basel ein um elf Uhr nachts. Das Bahnhofsbuffet mit seiner Hodler-ähnlichen Wandbemalung machte mir grossen Eindruck.
In meinem 14ten und 15ten Lebensjahr geschah allerhand, ich fing an mich für Jazz zu interessieren, ich verliebte mich in Teddy Stauffer und bekam mein erstes Engagement.
Meine Schwester Jo war Tänzerin im Stadttheater Basel, sie hat auch Gesang studiert, wir haben beide ein Faible für Jazz Musik gehabt und viele Platten angehört und einige Refrains von amerikanischen Schlagern einstudiert, ich immer wacker erste Stimme, ich konnte ja nicht anders, sonst bin ich fürchterlich falsch geworden. Nun, im Sommer gingen wir mit einem dritten Mädchen namens Betty auf Tournee. Betty sang ein bisschen und war hübsch, Jo und ich haben Duo gesungen und uns selbst auf Ukulelen begleitet, wenn kein Klavier vorhanden war. Es war unglaublich, aber wir gingen einfach in ein gutes Hotel oder eine Wirtschaft und haben ohne Hemmung gefragt, ob sie bitte ein Trio gebrauchen können. Nach 10 Tagen hatte Betty genug und kehrte heim.
Jo und ich sassen in Luzern und haben überlegt, wie es weitergehen soll. Das Restaurant, das wir besuchten, war spärlich besetzt. Auf einmal spitzten wir die Ohren wie Jagdhunde... ein Trio, Klavier, Geiger und Saxophon, spielten herrlichen Jazz! Wie verzaubert klopften wir mit den Füssen im Takt. Der Sax-Spieler kam an unseren Tisch und sprach uns auf Englisch an. Er hiess Phil Bernie und fragte, ob wir Lust hätten, mit der Combo etwas zu singen? Und ob wir Lust hatten! Buddy, der Pianist, fragte mich: „Hast du etwas dagegen, wenn ich spiele?“
Ich wurde rot, „Ach nein, ich bitte Sie, Sie spielen hundertmal besser als ich!“
Er setzte sich neben mich. Wir sahen einander an und verliebten uns, so einfach ist das.
Nach 20 Minuten haben Phil, Carlo der Geiger und Buddy beschlossen, uns zu engagieren. Wir unsererseits haben ganz ehrlich mitgeteilt, dass wir 14 und 17 Jahre alt waren und nur je 2 Kleider zum Auftreten hatten. Da sagte Phil entschlossen: „Dann geht’s nicht, Ihr seid zu jung zum Verdienen.“ Jo und ich, fast im Chor: „Aber wir wollen nichts verdienen, nur Kost und Logis müssen wir haben.“ Und der liebe Phil hat‘s zustande gebracht.
In den 2 Wochen, die wir in Luzern waren, haben wir darüber viel gelernt, wie Musiker leben, und dann dieses Verliebtsein... Buddy war 19... Ein völlig neues Gefühl. Mummy hatte Vertrauen in uns.
Wir haben beide unsere Unschuld intakt nach Hause gebracht.
In meinem letzten Schuljahr habe ich angefangen, Jazz-Klavierstunden zu nehmen. Mein Lehrer hiess Rob und war Alleinunterhalter. Nach der sechsten Stunde teilte er mir ganz nebenbei mit, dass er ein Engagement für uns hat, in Luzern und zwar in der Piccadilly Bar in einem bekannten Hotel.

Erste Bühnenerfahrungen als Solo-Tänzerin / Schauspielerin im Ballett des Basler Stadttheaters und in einer Holländischen Revue.

Gegen Ende Februar 1939 sagte Jo zu mir: "Ich war gestern im 33er Klub und habe mit dem Kapellmeister von den Lanigiro gesprochen (OriginaI, rückwärts buchstabiert). Damals waren die drei besten Big Bands in der Schweiz die Teddies, Fred Böhler und die Lanigiros.
Jo fuhr fort: „Sie suchen eine Vokalistin für die Landi, wär’ das nicht etwas für Dich?“
„Ja", sagte ich, "aber nur singen ohne zu tanzen mit meiner schwachen Stimme, ich weiss nicht recht...“
Jo: "Auf jeden Fall veranstalten die Lanigiros nächsten Sonntagvormittag während der Jazz-Matinée ein Vorsingen. Du bist nicht die Einzige.“
In dieser Nacht habe ich schlecht geschlafen, drehte mich von einer Seite auf die andere. Soll ich, soIl ich nicht...?
Schliesslich hat Coleman Hawkins, wirklich einer der grössten, zu mir gesagt, ich hätte das richtige GefühI für Jazz, als ich mit ihm im selben Radioprogramm war. Ich habe schon oft mit Amateurcombos gesungen. Also was soll’s. Jazz ist etwas das man nicht lernen kann. Entweder man kann‘s oder man kann‘s nicht.
Sonntagmorgens sass ich in meinem schönsten Kleid, lässig, so hoffte ich, nah bei der Kapelle.
Erst stand ein junger Mann auf und ging auf das Podium. Er war so schlecht, dass die Musiker sich einen miesen Witz mit ihm leisteten. Alle paar Takte wechselten sie die Tonart. Der Arme er war völlig verloren. Als nächstes kam ein Mädchen. Sie hatte eine ganz hübsche Stimme, aber war so nervös, dass sie stets den Einsatz verpasste. Jetzt war ich dran.
Nachher sagte René Schassmann: „Du bist ganz gut, wir können dich brauchen. Am 1. Mai fängt die Landi an, und du bist dabei, als Vokalistin.“
„Ich bin Jazz-Sängerin“, habe ich wiederholt zu mir gesagt, mit einem echten Engagement und verdiene – ich rechnete schnell nach – ungefähr 600.- im Monat.»

Unterdessen habe ich versucht, alles, was populär war in der Tanzmusik, zu lernen. Vokalisten sangen meistens nur einen Refrain, meistens den zweiten, und manchmal die letzten 8 Takte. Abendkleider waren de rigeur; das war ein teurer Spass. Ich hatte eine liebe Näherin, die bereit war, zu warten, bis ich meine erste Musikergage verdiente. Mit Schulden, aber glücklich, reiste ich nach Zürich.

Lanigiros

Schweizer Landesausstellung 1939

Alles war so interessant und farbenfroh, die Leute, das Artistenvolk, die Arbeiter, die fieberhaft letzte Hand anlegten, damit alles fertig wurde für die Eröffnung morgen; was für ein herrlicher Beruf, Musiker zu sein!
Die Lanigiros, 14 Mann, mich eingeschlossen, spielten Tanzmusik. Wir spielten von 16 bis 18 Uhr und 20 bis 24 Uhr, samstags bis 01 Uhr. Die Musiker mussten ausserdem die Varieté-Nummern begleiten, und das gab sehr viel Proben.
Ich kam gut an beim Publikum wegen meiner natürlichen Präsenz, hingegen künstlerisch musste ich noch einen Haufen lernen. Der «Anlauf» der Männer hatte angefangen, zu meinem grossen Erstaunen und – lass mich ehrlich sein – Entzücken. Angefangen mit einem englischen Komiker, eher väterlich und Reiter der Hohen Schule. Briefe, Blumen und manchmal Schokolade. Doch Walter war noch der einzige Mann für mich. Zwischen leidenschaftlichen Nächten erklärte er mir dauernd, was für ein unmusikalisches Wesen ich war. Die Zeit ging im Flug vorbei und schon am 15. Juni mussten wir weiter nach Belgien, 6 Wochen in Ostende und 6 in Knokke.

Das Casino in Ostende war direkt aus der Jahrhundertwende, grosse Hallen, Palmen in Töpfen, ein Wintergarten, ein Durcheinander von verschiedenen Stilen. Meistens «Art nouveau». Ich sah in den Kulissen einige von den Musikern in farbigen Blusen mit grossen Rüschen auf den Ärmeln: Die «Lecuona Cuban Boys». René Schassmann hatte zwei neue Lieder für mich, «Melancholy Baby» und «Yes my Darling Daughter», beide waren gut. Nach ein paar Tagen war ich bekannt mit den meisten Musikern der Lecuonas. Ich habe mich besonders angefreundet mit zwei älteren Mitgliedern, so um die Vierzig herum. Beide hatten deutsche Gattinnen, bildhübsche, schicke Berlinerinnen. Sie sagten: «Du ziehst dich unvorteilhaft an.» Alle vier gingen wir miteinander einkaufen, und die Frauen schenkten mir einiges aus ihrer üppigen Garderobe. Sie haben mir viel beigebracht in Sachen auftreten und ankleiden.

Unser nächster Ort, Knokke-Le Zoute.

Herrliche Konzerte! Paul Hindemith, Martha Eggert, Jan Kiepura, Arthur Rubinstein, Josephine Baker, Maurice Chevalier, um nur einen Teil zu nennen. Eine lehrreiche und unterhaltsame Zeit für mich. Die Lanigiros teilten den Dienst mit dem Orchester Jo Bouillon. Das Casino war, im Gegensatz zu Ostende, supermodern, erst 1938 fertig gebaut, und hatte eine erstklassige Akustik.

In Knokke habe ich einen Brief von einer bekannten musikalischen Varieté-Nummer erhalten, mit ein paar Worten von Franz Muriloff. Ich sollte Handorgel und Ukulele richtig lernen und sonst singen und steppen, die Bezahlung war gut, Tourneen in Übersee-Länder wie USA, Kanada, Indien, Europa. Ich habe ihnen versprochen, so bald wie möglich Antwort zu geben. Der Krieg kam bald darauf und alles ist ins Wasser gefallen.

Am 26. August hat René Schassmann uns mitgeteilt, dass wir am nächsten Tag in die Schweiz reisen würden. Belgien war am Mobilisieren und jeden Tag konnten die Deutschen einmarschieren.
Die Bahnstationen waren entweder leer oder voller Truppen. Man konnte den kommenden Krieg förmlich spüren. Eine traurige Rückreise.

Krieg

Am 29. August ist Hitler in Polen einmarschiert, am 3. September deklarierten England und Frankreich Krieg gegen das Dritte Reich.
Generalmobilmachung. Wir sassen fest in Basel, die Hälfte der Lanigiros wurde zum Militärdienst eingezogen, ich ohne Kleider und alle ohne Zahltag. Innert einer Woche haben wir Arbeit gefunden, nachmittags in einem Warenhaus und abends in einem Restaurant.

Am 15. September mussten wir wieder an der Landi sein. Teddy Stauffer hatte uns dort abgelöst am 15. Juni und sollte mit seinem Orchester am 16. September nach den Vereinigten Staaten fahren, was natürlich jetzt nicht in Frage kam, da seine Band genauso dezimiert war wie die unsrige.
Ein seltsames Orchester! Wir hatten zuviel vom einen Instrument und zu wenig vom anderen. Teddies und Lanigiros haben versucht, aus den Musikern, die verblieben waren, eine grosse Band zu machen. Ich fand die Musiker von den Teddies alle grosse Könner, sie beherrschten ihre Instrumente.

Eigentlich war ich ein oberflächliches Ding, trotz Krieg und dem Entsetzlichen, das um mich geschah, ging ich zu jeder Vorstellung wie ein Kind zum Weihnachtsfest.

Teddy war unheimlich beliebt, so beliebt, dass er mich manchmal fragte: «Hänge mich bitte ein und schau mich verliebt an, damit ich schnell durch die Autogramm-Mädchen komme.»
Obwohl ich nicht mehr verliebt war in Teddy – das lag manches Jahr zurück – war das keine unangenehme Arbeit für mich. Leider nur bis zur nächsten Strassenecke, wo wir «Ciao» sagten und jeder seinen Weg ging.

Walter war im Dienst und hatte wenig Zeit, um mich zu besuchen. Er fand die Teddies hervorragend, aber an mir liess er kein gutes Haar… Trotz Liebe ging er mir mächtig auf die Nerven.

Ende Oktober ging alles viel zu schnell, die Lanigiros gingen nach Biel, und wohin die Teddies gingen, weiss ich nicht. Sicher an einen viel besseren Ort… in meiner Vorstellung wenigstens.

In Biel mussten wir eine «Show» geben. Die Lanigiros hatte verschiedene Shows. Man fragte mich, was ich singen möchte?
«Ich kann den ganzen Abend singen, und ich werde stepptanzen.»
Das fanden alle eine gute Idee. Auch mit Chansons habe ich mich angefreundet, lustigen und dramatischen.

Nach einer durchzechten Nacht lag ich drei Uhr morgens im Bett und versuchte zu lesen. Ich hörte die Stimme des Lanigiro-Pianisten und seiner Frau nach mir rufen: «Phyllis, es ist Fliegeralarm, komm sofort in den Keller herunter!»

Wir hatten eine gute Show eingeübt. Unser Engagement in Bern war in einem Casino. Ich sang und tanzte. Während wir in Bern waren, spielten wir auch mehrere Male im Radio. «South of the Border», ein Schlager der Kriegsjahre, habe ich oft gesungen.

Ich wurde immer populärer, doch statt mehr Geld zu verdienen, war in den wöchentlichen Lohnsäckchen meistens weniger als mündlich abgemacht. Eine Geschäftsfrau war ich nie.

Einen neuen Nightclub in Basel eröffnen, das war unser nächster Job. Das Astoria existiert heute noch. Zu dieser Zeit hatte ich dauernd Krach mit Walter… Er war eigentlich der erste Hippie, obwohl es damals noch keine gab, all die Selbstsuche, und so voller Gegensätze.

Ich wohnte im Stadthaus im 4. Stock, wo früher Bedienstete hausten. In meiner Fantasie sah ich Damen in rauschenden Röcken die wunderbar breiten Treppen auf und ab gleiten.

Ich habe angefangen, Stunden zu nehmen bei einem Musiklehrer.

Wir spielten im Astoria die üblichen 16 - 18 Uhr und 20 – 24 Uhr, und ausserdem am Sonntag eine Jazz-Matinée.

Eines Sonntags wachte ich erst gegen 09:30 auf. Ich nahm meinen Bademantel über den Arm und wollte so schnell wie möglich ins Badezimmer gelangen. Nur in ein dünnes Nachthemd gekleidet ging ich ins Wohnzimmer… und stand plötzlich Aug’ in Aug’ mit einem Kammerorchester, das das Brandenburgische Konzert von Bach spielte. Ich bekam eine Ovation, indem sie mit den Bogen gegen ihre Instrumente schlugen und in grosses Gelächter ausbrachen. Ich habe die Jazz-Matinée mit zehn Minuten Verspätung geschafft.

Wir spielten im neu gebauten Kongresshaus in Zürich. Dort fiel das magische Wort «Aufnahme» zum ersten Mal. Unser Kapellmeister Bruno Bandini hat uns mitgeteilt, dass wir zehn Seiten, also 5 Platten für Columbia aufnehmen konnten. Wir hatten nur drei Tage Zeit zum Proben. Ich hatte nur zwei Refrains zu singen, was mich ein wenig sauer machte.
Die zwei folgenden Nächte haben wir geprobt von Mitternacht bis Vier. Ich habe die Band noch nie so nervös gesehen. Wir schrien einander an ohne ersichtlichen Grund.

Im Zuschauerraum des Kongresshauses sass ein grosser, dünner und eher hässlicher Mann mit einem hängenden Schnurrbart… er kam mir irgendwie bekannt vor. Es war Direktor Hans Hubert vom Tivoli an der Landi. Er war in Verhandlung mit dem Projekt, ein grosses Kino umzubauen zu einem Varieté-Tanzlokal mit Sitzplätzen für 1000 Personen. Es war auf dem Bellevue-Platz und hiess Corso. Er hatte im Sinn, mich als Vokalistin und Ansagerin zu engagieren. Er fragte mich, was ich bei den Lanigiros verdiente. «18 Franken am Tag. Meistens weniger», sagte ich. Er zog eine Grimasse und offerierte mir 25 pro Tag.
«Wie heisst die Band im Corso?», fragte ich.
Hans Hubert: «Der Kapellmeister ist Walter Baumgartner.»

Hans Hubert sah in mir eine Geldquelle. Wenn ich nach seinem Rat gehandelt hätte, wäre ich wahrscheinlich ein Star geworden.

Die Lanigiros zu verlassen stimmte mich traurig – partir c’est mourir un peu. Wir waren gute Kumpels. Sie haben lange Gesichter gemacht.

Am Anfang fand ich das Nummern ansagen in Deutsch und Französisch gar nicht so einfach, doch nach einer Woche war ich entspannter, und dann ist es Routine geworden. Varieté-Nummern waren Mangelwaren im Krieg, besonders mit Männern. Dafür hatten wir wunderbare Chanteusen wie Lucienne Boyer, Marie Dubas und Josephine Baker.

Ungefähr sechs Monate später hat Hubert mir nachgerufen, als ich auf dem Heimweg war: «Hey Phyllis, sei bitte morgen um Drei Uhr hier im Café, jemand möchte dich sprechen.» «Wer?» «Du wirst schon sehen.» Ich grunzte: «Hitler wahrscheinlich – Gute Nacht.»
Pünktlich um Drei Uhr am nächsten Tag erschien ich im Corso. Hubert war schon da, nicht mit Hitler, aber mit Eddie Brunner, dem jetzigen Bandleader der Teddies.
Er fragte mich: «Würden Sie gern für uns arbeiten?»

Ich hab’s geschafft, ich hab’s geschafft, die Teddies wollen mich als Vokalistin! Was für ein tolles Geschenk, dass die Band, die ich in der Schweiz am meisten bewunderte, mich tatsächlich engagierte. Ich verdiente 30 Franken pro Tag.

Am 30. April hörte ich bei Baumgartner im Corso auf und am 1. Mai 1942 begann ich bei den Original Teddies unter der Leitung von Eddie Brunner. Teddy Stauffer war schon in den Staaten. Nach einer schweren Zeit ging er nach Mexico und wurde sehr erfolgreich in Acapulco.

Original Teddies

Schon im ersten Monat, den ich für die Teddies arbeitete, haben wir Plattenaufnahmen gemacht. Ein ziemlicher Unterschied zu den Lanigiros… Erstens in einem richtigen Aufnahmestudio, zweitens mit mehr Proben und drittens war Eddie Brunner ein begabter Tontechniker.

Wir hatten während dem Krieg immer die neuesten Schlager, weil Eddie manchmal die ganze Nacht aufgeblieben ist, um Jazzmusik aufzunehmen, Bands wie Glenn Miller, Benny Goodman, Artie Shaw, Duke Ellington und Count Basie. Er musste sehr viel Geduld haben, denn Kassetten waren noch nicht vorhanden. Alles wurde auf Platten aufgenommen. Diese wurden an Jack Trommer und Buddy Bertinat weitergegeben, zum Kopieren oder eigene Arrangements daraus zu machen.

Unsere erste Show für das Corso MUSSTE gut sein.
Die Teddies hatten viele Shows zusammengestellt, aber ich, was konnte ich bieten? Ich zählte ab, Singen, Stepptanzen, Volkstänze, Hula… Da sagte ein Musiker: «Hula, eine Hula-Nummer, Buika, bring deine hawaiianische Gitarre her.» Bertalan Buika war offiziell Saxophonist, doch er spielte ungefähr zehn weitere Instrumente.

Erst hatten wir einen Hula mit Buika an der Hawaii-Gitarre, Tanz und Gesang von mir, mit dem ganzen Orchester, dann eine Zigeunerszene mit Gesang von Billy Toffel (unser Gitarrist und Sänger), Tanz von mir, barfuss, mit aufgelöstem Haar, und mit Buika. Das Ganze war leicht kitschig, aber es gefiel.

Carmen Miranda war meine Idee. Ich habe sie nachgeahmt. Buddy Bertinat schrieb eine gute rhythmische Begleitung dazu.

Schnell war der erste Juni da, die grosse Première!

Das Corso war bis zum letzten Platz besetzt. Das Publikum hatte uns ins Herz geschlossen.

Meine Carmen Miranda-Imitation schlug ein wie eine Bombe, ich musste in jeder weiteren Show einen Rumba, Conga oder Samba singen. Unsere erste Show lief zwei Monate statt einem.

Wir haben dauernd Platten aufgenommen. Ich bekam pro Plattenseite 50.-, Tantiemen waren keine dabei. Einmal kam der Direktor der Plattenfirma zu mir und sagte: «Hören Sie diese Platte aufmerksam an. Jack Trommer wird ein Arrangement schreiben und wir nehmen’s morgen auf.»

Die Platte war «Lili Marleen», von Lale Andersen gesungen. In meiner Einfältigkeit wusste ich nicht einmal, dass dies das Lieblingslied der Deutschen Wehrmacht war. Am nächsten Tag haben wir dann tatsächlich «Lili Marleen» aufgenommen. Ich habe die enorme Summe von 100.- bekommen. Ich habe später einmal gehört, dass die Gesellschaft fast eine Million von meiner Version bis 1948 verkauft hat.

Ungefähr ein Jahr später in 1943 haben wir für eine verrückte Slapstick-Szene eine langweilige Musik gebraucht. Ich habe «Lili Marleen» vorgeschlagen, von mir sehr monoton gesungen und nur mit Akkordeon von Buika begleitet. Buika und ich haben übertrieben ernste Gesichter aufgesetzt. Die Show war 5 Tage alt, da kam ein Drohbrief vom Deutschen Studentenbund, in dem stand, wenn wir weiterhin deutsche Lieder verulken würden, hätten wir bald keine Musiker und kein Lokal mehr.

Das «Moulin Rouge» in Genf war unser nächstes Engagement nach Zürich. Die Teddies spielten dort in der Regel zwei Monate im Frühling und zwei Monate im Herbst. Es war das vornehmste Dancing von Genf. Heute, falls es noch existiert, ist es sicher entweder ein Striplokal oder eine Diskothek. Wir haben gespielt von 22 Uhr bis 3 oder 4 Uhr morgens.

Ich habe im Genfer Konservatorium Musiktheorie und Klavierstunden genommen. In Genf habe ich viel darüber gelernt, wie man auftreten soll – von Buika; ich hatte auch eine Affäre – mit Buika.

In meinem Privatleben war alles durcheinander. Das Verhältnis mit Buika war aus, leider das mit Walter auch. Meine grosse Liebe waren immer noch die Teddies. Ich sagte voller Stolz zu mir: «Das ist mein Sound, meine Band.» Ich glaube, ich habe vorher und nachher niemals meine Arbeit so innig geliebt.

Gleichzeitig mit uns in Bern wirkte die Kapelle Fred Böhler. Sie hatten eine Sängerin, die besonders gut in langsamen Balladen war, mit einer schönen Stimme. Sie hiess Kitty Ramon und war gebürtige Holländerin.

Ab Weihnachten spielten wir im Hotel Belvedere, Davos. Dort war der Dienst anstrengend, 16 bis 18 Uhr Thé dansant, 18 bis 19 Uhr Aperitif, und 21 bis 2 oder 3 Uhr morgens, je nach Laune der Gäste. Fast jede Woche hatten wir einen Ball, dann ging‘s bis Vier Uhr morgens.

Unser Klarinettist Ernst Höllerhagen war ein Prinz auf seinem Instrument, ein zweiter Benny Goodman! Er hat auch gerne klassische Konzerte gespielt und wir hatten viel Spass zusammen, ich am Klavier, mit Mozart oder Carl Maria von Weber. Ernst hatte ausserdem ein Faible für Eishockey. Wir hatten alle Angst, dass er seinen teuren Mund verletzen würde. Er lebt schon lange nicht mehr.

In einer unserer Shows in 1943 hatten wir die Geschwister Schmid dabei. Die beiden Buben waren Kinder damals. Nach dem Krieg waren sie sehr bekannt in Europa und den USA. Weiter hatten wir ein Frauenquartett aus Genf, Les Ondelines, zwei Komiker aus Basel, Lucca und Wiesely, und dann hatte ich das Vergnügen, mit Kitty Ramon und einem anderen Mädchen ein Trio zu bilden…

Meine Schwester Jo war auf Besuch und wir haben schnell ein mexikanisches Potpourri zusammengestellt, das sehr gefallen hat. Ich habe alle Choreographien gemacht.

1944 habe ich eine Nummer aufgebaut, eine Parodie über eine Coiffeuse mit komplizierten Steppschritten. Das Publikum war sehr enthusiastisch.

In der Zwischenzeit war ein amerikanischer Geschäftsmann, Bob, mir sehr zugetan geworden, mit ernsten Absichten. Er wohnte in Genf und wollte unbedingt, dass ich bei ihm bleibe.

Im Grunde genommen habe ich meine Arbeit noch sehr gern gehabt. Hans Hubert teilte mir mit, dass er grosse Pläne für mich hatte, der Krieg wäre bald vorbei und er würde eine richtige Bühnenshow um mich bauen mit grossen Tourneen in Europa und Amerika. Meine Antwort war: «Ach was, ich bin schon viel zu alt für die Staaten, wer will schon eine 26-jährige Frau auf der Bühne sehen!»

Ich hab’s sogar ernst gemeint! Aufzuhören, wenn man so viel Erfolg hat, ist absolut schwachsinnig, aber ich hatte plötzlich einen «Frau und Mutter»-Komplex bekommen.

Schon längere Zeit habe ich gewusst, dass die Teddies im Sinn hatten, auseinander zu gehen. Schade um die Teddies, ein herrliches Orchester.

Bob und ich sind im Herbst 1945 nach Bern übergesiedelt. Im Frühling 1946 musste er zurück nach Amerika.

Wieder allein

Nachdem Bob weg war, habe ich wieder angefangen zu arbeiten, aber es war nicht dasselbe, kein «Teddy Sound» mehr. Zuerst mit einem Orchester im Moulin Rouge in Genf, nachher in Lugano mit dem Trompeter Lukas (Cheese) Burckhardt. Meine Schwester Jo hat mir aus Basel telefoniert und mitgeteilt, dass unser Vater noch am Leben war, nach fast 4 Jahren japanischer Gefangenschaft!

Nach Lugano ging es wieder nach Basel, wo ich bei Lothar Löffler im Hotel Drei Könige Vokalistin war. Lothar kannte ich aus dem Kinderballet vom Basler Stadttheater, er war ein glänzender Jazzpianist geworden und hatte ein gutes Tanzorchester beisammen. Während diesem Engagement habe ich einen Kontrakt unterschrieben für ein Programm beim Cabaret Federal, ehemals «Cornichon», ein sehr bekanntes literarisches Kabarett. Das Programm lief von August bis Dezember 1947.

Nach Basel arbeitete ich in Zürich in verschiedenen Nightclubs und habe mich durch einen Artistenagenten zu zwei Engagements in den Niederlanden verpflichten lassen. So konnte ich meinen Vater wiedersehen.

Im Frühling 1947 lernte ich einen Flugpiloten kennen, es war - wieder einmal – Liebe auf den ersten Blick. Er war Amerikaner, hiess Wayne und wohnte in Amsterdam.

Toon Hermans

Toon Hermans sah unauffällig aus, war ein ruhiger Mann und konnte zuhören; alles seltene Eigenschaften für einen Schauspieler, aber eben, er war nicht nur Kabarettist, Toon schrieb eigene Texte sowohl für Sketche als auch für Chansons, die Musik hatte er auch komponiert und er war auch ein guter Kunstmaler. Einer der komischsten Typen, die man je auf der Bühne gesehen hat.
Wir hatten kaum eine Stunde miteinander gesprochen, da sagte er: «Ok, ich engagiere Sie für die nächste Saison.»

Die Deutschland Tournee war ziemlich schlimm.

Gleich von Anfang an gefiel mir die Truppe von Toon, aber ich war entsetzt, als ich hörte, dass ich im Sextett, genannt «The Melody Queens», singen sollte. Ausser uns waren da noch 4 erstklassige Ballettänzerinnen und Choreograph/Tänzer Jack Bow. Er hat auch die Musik für die Tänze und Sextette ausgesucht. Er tanzte und spielte kleine Rollen; ein Allround-Künstler. Zwei Schauspieler und eine Schauspielerin schlossen das Ensemble ab, und natürlich Toon Hermans.

Die Eröffnung fand in Amersvoort statt, einer Stadt ungefähr eine Autostunde von Amsterdam entfernt.

Bei der Hauptprobe ging natürlich alles schief. Mein Kleid für die Szene «Annie get your Gun» habe ich erst im allerletzten Moment bekommen, ein rosa Kleidchen mit Puffärmeln, Schleifchen und einem Strohhäubchen, zuckersüss. «Haben Sie kein altes verschlissenes Cowboy-Kostüm für mich? Dieses rosa Getue kommt nicht in Frage!» Nichts zu machen. Die Szene auszulassen war unmöglich, ausserdem war sie gut. Am Schluss ist der liebe Jack mit mir zu einer Kostümleihanstalt gefahren. Es lohnte sich, ich habe die Premiere in einem braunen, etwas verschlissenen Cowboy-Hut, Gewehr über der Schulter, mit Erfolg bestanden.
Sogar die verflixten «Melody Queens» fand das Publikum gut. Wahrscheinlich habe ich nicht allzu falsch gesungen. Ich habe dafür am besten getanzt.

Nach zwei Wochen in Amersvoort traten wir 5 Monate lang vor ausverkauftem Haus in Amsterdam auf, und zwar in «Die kleine Komödie», einem ganz reizenden Theater mit ungefähr 700 Plätzen. Am 15. März gingen wir auf Holland-Tournee. Dann gingen wir für 2 Wochen nach Belgien.

Die Königin Juliana hat uns an ihrem Geburtstag nach Schloss Soestdijk gebeten. Wir gaben eine Vorstellung für ihre Familie und geladene Gäste. Ich habe mich lange unterhalten mit Prinzessin Beatrix, die heute Königin ist.

Nach Toon Hermans habe ich mit der grössten Revue in Holland ein Engagement abgeschlossen. Eine ganz andere Arbeit, viel Kostüme, viel Federn, viel Schi-Schi und Treppen laufen, lange nicht so gemütlich wie bei Toon. «Snip und Snap» hiess die Revue, irgendwann in den dreissiger Jahren angefangen und bis 1972 gelaufen! Wir waren 6 Solisten, ein 12-köpfiges Ballett, 6 Showgirls und ein Orchester von 10 Mann, und natürlich die 2 Hauptdarsteller. Diesmal haben wir in Den Haag angefangen und nach einem Monat war grosse Première in Amsterdam. Ich hatte 3 bis 4 typische Revue-Nummern auszuführen, nett, sonst nichts.

In meinem Privatleben war es auch nicht bestens. Wayne hatte sich in jemanden vom «Jet Set» verliebt. Wir gingen auseinander ohne grossen Krach.

Cabaret

Die Revue war vorüber, und ich hatte keinen neuen Bühnen-Kontrakt, dafür aber einige Offerten von guten Cabarets. Zum ersten Mal musste ich mit berüchtigten Künstler-Agenten zusammenarbeiten.

Das erste Engagement, das ich angenommen habe, war im «Hollywood» in Amsterdam.

Es gibt nichts deprimierenderes als einen Nachtklub im Tageslicht, nur ein bisschen Sonnenschein und schon sieht man Staubwolken überall und der Rauchmief ist immer vorhanden. Im Eingang blieb ich einen Moment lang stehen, festgenagelt von dem herrlichen Jazz. Ich tastete mich durch das halbdunkle Lokal und setzte mich, um dieser sehr guten Kombo weiter zuzuhören. Klarinette, Vibraphon, Klavier, Bass und Schlagzeug, jeder Musiker ein ausgezeichneter Jazzer. Das Quintett hörte auf zu spielen. Ich ging auf sie zu. «Das war grossartig. Entschuldigung, aber ich sollte mit euch proben.» Der Schlagzeuger stand auf. «Sie sind Phyllis von Anrooy. Darf ich meine Musiker vorstellen, ich heisse Joop.»

Zum ersten Mal seit den Teddies fühlte ich mich getragen von so viel Swing. Am nächsten Tag war um 3 Uhr Probe mit einem Artisten, Joop sagte: «Wenn Sie noch etwas mit uns proben möchten, kommen Sie bitte auch.»

Ich kam kurz vor 3 Uhr in das muffige, halbdunkle Lokal. Ein Pianist spielte vor sich hin… auf einmal spürte ich zwei Hände, die meine Schultern leicht berührten, und einen weichen Kuss hinten am Hals. «Tag, Schatz», hauchte Joop mit seiner tiefen Stimme. Zwei Sekunden lang stand ich stockstill. Alles war so vollkommen richtig. «Tag, Joop… hör nicht auf…»

So hat die zweite grosse Liebe meines Lebens angefangen. Fünf Jahre lang war Joop der Mittelpunkt meines Lebens.

Nach drei Monaten in anderen Städten in Holland kam ich zurück nach Amsterdam ins «Hollywood» für 6 Monate. Während dieses Engagements habe ich eine Sängerin getroffen, die eine lebenslange Freundin wurde: Othella Dallas.

Meine arbeitgebenden Cabarets waren nicht immer in den Niederlanden, sondern auch in Deutschland, Belgien und England. Man trifft allerhand verschiedenes Volk an solchen Orten. In Sachen Cabarets war ich anfangs reichlich naiv.
Ich war meistens die Vedette, weil alle anderen Stripteaseusen waren.

1953 war das Krönungsjahr von Elisabeth der Zweiten. Dawn, meine Freundin aus der G.I.-Zeit in Deutschland, hat mir ein Cabaret-Engagement in London vermittelt, um genau zu sein, 2 Cabarets, die beide einem Holländer gehörten, der mich aus Amsterdam kannte.

In London habe ich mich gefreut, dass einige Engagements am Meer waren, herrlich am Strand liegend… Eiskalt war’s, und ich habe meine mitgebrachte Handarbeit, einen dicken Pullover, schleunigst fertiggestrickt, damit ich nicht friere.

Im zweiten Cabaret trat ich um 1 Uhr auf. Dort waren hauptsächlich Männer aus der US-Armee und Damen der Nacht; mit einer davon habe ich mich fast jede Nacht unterhalten. Eine schöne Russin von ungefähr 40, die ausser Russisch noch Englisch, Französisch und Chinesisch sprach. Sie kam aus Shanghai und musste 1949 flüchten vor der Roten Armee.

Da war die Schlangentänzerin, mit der ich die Garderobe teilte. Sie sprach perfektes Oxford-Englisch und ihr Französisch war auch gut, man vermutete Mädchenschule in Vevey; eine intellektuelle Lesbierin. Sie tanzte – mit Schlange – den Tanz der sieben Schleier. Alle beide, Mädchen und Schlange, waren schön, und liebe Kumpels dazu. Zum ersten Mal war ich auf Du und Du mit einer Schlange. Der Nachtklubbesitzer war verrückt nach ihr, doch er hatte absolut keine Chance, sie konnte sich gut verteidigen und die Schlange zischte gefährlich auf ihr Kommando.

Schade, dass es damals in England so schwierig war, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Ich bekam ein sehr verlockendes Angebot von einer Kleinkunst-Gruppe in London, aber die Gage war weniger hoch als im Cabaret, und es war mir als Ausländerin verboten, unter einer bestimmten Summe zu arbeiten… Schade.

Also weiter in Cabarets auftreten.

Ich habe eine Zeit lang, 1954 und 1955, in Dijon bei meiner Schwester Jo gewohnt, aber ich fühlte mich immer wieder zurückgezogen nach Amsterdam und Joop.

1957 arbeitete Joop mit einem Dänischen Orchester und war die meiste Zeit im Ausland. Mit derselben Big Band bin ich 1958 auf eine Deutschland-Tournee gegangen, wo ich bei den G.I.’s wieder grossen Erfolg hatte, vielleicht ein bisschen zu viel für den «Star»-Bandleader. Ende Mai, in Heidelberg, kam es zum Bruch. Ich ging gerne weg, hatte die Nase voll von unehrlichen Bandleadern, und Basel war nicht so weit weg.

Auf nach Basel!

Wieder Basel

Vielleicht war es meine rege Fantasie, aber Basel hat mich willkommen geheissen wie einen guten alten Kameraden. Schon der Anblick des vertrauten Bahnhofs, die grasgrünen Trams, der Rhein… Ich war zu lange weg gewesen.

Meine Schwester Connie, die 13 Jahre älter war als ich, arbeitete in Basel, und ich wohnte bei ihr. Einige Tage später sagte sie: «Du solltest das Hotel Touring anrufen, der Direktor will mit dir sprechen.»

Ich war sehr überrascht, als der Direktor Paul Mathys mir vorschlug, mit ihm gemeinsam ein chinesisches Restaurant zu leiten. Noch nie in meinem Leben hatte ich in einem Restaurant oder Hotel gearbeitet, aber warum nicht? Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr ging mir ein Licht auf… das könnte ein Ausweg sein aus dem ewigen Tunnel des Cabarets.

Doch vorher hatte ich noch drei Monate Cabaret-Verpflichtungen zu absolvieren, in Zürich, Basel, Amsterdam und Jugoslawien, also konnte das Restaurant nicht öffnen vor Ende Januar.

Vor der Jugoslawien-Tournee war ich zum letzten Mal in Amsterdam und habe da das Personal für das China-Restaurant engagiert. Das heisst, ich habe sie nach Basel geschickt, um mit Herr Mathys zu verhandeln. Ich habe meinen kleinen Haushalt aufgelöst, eingepackt und nach Basel spediert.

Jetzt kam auch die endgültige Trennung von Joop… Es war schwerer und trauriger, als ich es mir vorgestellt hatte, aber als ich im Zug sass, war ich sichtlich erleichtert.

Nach Belgrad bin ich mit einem spanischen Ehepaar und ihrem schwarzen Pudel, genannt «Philip», in ihrem Auto mitgefahren. Ein fideles Paar, er war ein hervorragender musikalischer Imitator und Clown, und seine Frau bediente die Apparate, die er für seine komische Nummer brauchte. Nebenbei war sie sehr schwanger, im 6. oder 7. Monat. «Philip» und ich haben dicke Freundschaft geschlossen in Jugoslawien. Jeden Morgen so um 9 Uhr ging ich ihn holen für einen langen Spaziergang.

Die Jugoslawen, mit denen ich zu tun hatte, waren unerhört galant und rücksichtsvoll. Die Vorstellung bestand aus 4 musikalischen Nummern, mit einem Conférencier und einem Quartett aus Jazzmusikern vom Belgrader Rundfunk. Wir spielten meistens in Konzerthallen. Das Publikum war enthusiastisch und aufmerksam, alles, was man sich wünschen konnte.

Kurz vor Schluss der Tournee kam der Manager aus Genf nach Belgrad. Er hatte eine wunderbare Offerte für uns: Anschliessend zwei Monate Russland! Wer war frei? Leider niemand.

Wie schade, dass ich Russland verpasst habe.

Am letzten Abend wurde ich von einer reizenden Sekretärin des Staatlichen Künstlerverbandes zum Orient Express gebracht. Sämtliche Musiker und ihre Frauen brachten mir herrliches Eingemachtes, 3 Töpfe voll!

Ein neuer Beruf

Nach 30 Stunden Fahrt im Orient Express kam ich um 04:30 in der Früh in Dijon an.

Vor Weihnachten bekam ich die Hongkong-Grippe. Meine Schwester hat mich rührend gepflegt. Das Engagement am 29. Dezember in Lausanne musste ich absagen.

Am 15. Januar 1959 fuhr ich nach Basel.

Alle waren schon da, der indonesische Kellner mit seiner Frau, eine indonesische Köchin, ein chinesischer Kellner und noch eine Köchin, die chinesische Gerichte zubereitete.

Das Restaurant hiess «Golden Dragon». Daneben war eine Bar, und nach und nach habe ich dort gesungen, zuerst, um die letzten Gäste loszuwerden, und dann, um ehrlich zu sein, musste ich ein bisschen «show off», mein Ego kam zu kurz… Nur Servieren war mir zu langweilig.»

(Phyllis Heymans)

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Zusammengestellt von Thomas Schärer