*13.10.1924 Basel, † 3. Mai 2018 Basel
«Viele der erfolgreichen Jazzamateurmusiker der vierziger und fünfziger Jahre stammten aus `besseren` Familien. Sie hatten Zugang zu einem Grammophon und konnten sich Schallplatten leisten», schrieb Bruno Spoerri in dem von ihm herausgegebenen Standardwerk «Jazz in der Schweiz». Einen Musikerkollegen zitierend, fügte er im Rückblick auf die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg präzisierend bei: «Die bekanntesten Jazzfans und Amateurmusiker kamen fast durchwegs aus betuchten Fabrikantenfamilien, wo in der Villa auch stets ein gut gestimmter Flügel stand sowie eine Hausbar lockte.»
Student, Anwalt, Richter, Regierungsrat
Aus gutem Haus stammte jedenfalls der am 13. Oktober 1924 in Basel geborene Hans Lukas Burckhardt – einer also, dessen CKDT-Nachname auf eines der traditionsreichen Geschlechter im Basler «Daig» verwies. Dem Sohn eines Seidenbandfabrikanten standen die Karrierentore weit offen: Nach dem Gymnasium studierte er Juristerei an der Uni Basel. 1949 promovierte Lukas Burckhardt, 1952 bestand er die Anwaltsprüfung, 1954 wurde er stellvertretender und vier Jahre später ordentlicher Staatsanwalt, ab 1960 präsidierte er das Stadtbasler Strafgericht. Lukas Burckhardt politisierte, der Familientradition folgend, bei den Basler Liberalen, die er ab 1966 während 24 Jahren im Regierungsrat des Stadtkantons vertrat.
Aus welchem Holz der politisierende Lukas Burckhardt geschnitzt war, schilderte sein damaliger Amtskollege Eugen Keller rückblickend: «Nie versuchte er, seine starke Stellung als Finanzminister auszunützen oder alles nur aus dem Blickwinkel des Geldes zu beurteilen. Es kam bei ihm in erster Linie auf den Zweck und erst in zweiter Linie auf das Geld an. (...) Er war immer gesprächsbereit, originellen Lösungen zugetan und sah – auch bei bisweilen hitzigen Debatten um die finanziellen Mittel – stets die Sache. Er kämpfte gegen die Auswüchse des Staatsapparats und suchte die personelle Ausdehnung in Schranken zu halten.»
Bebop lockt
Eugen Kellers Nachruf auf den am 3. Mai 2018 verstorbenen Lukas Burckhardt vergass nicht, auf den «begnadeten Trompeter» Burckhardt hinzuweisen, der in entspannten gesellschaftlichen Kreisen der Stadt Basel vor allem mit dem Vor- und Übernamen «Cheese» begrüsst und gefeiert wurde. Als Kind spielte der Fabrikantensohn Klavier und Geige, dann entdeckte er die Trompete und begann in einer Schülerband mitzuwirken. Erste Auftritte hatte die College Swing Band 1943 in Basel als Tanzorchester, in dem der knapp volljährige Lukas auch Einsätze als Violinist und Akkordeonist beisteuerte.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs traf und amüsierte sich die jazzaffine Basler Jugend vor allem in der Steinenvorstadt. Im Café Java gab es Jamsessions, an denen «Cheese» gemeinsam mit Saxophonist Remo Rau und Vibraphonist Werner Buser aktiv wurde. 1944 gehörte er zum Ensemble Varsity Club, das einen vollen Monat lang im Dancing Odeon auftrat. War bis zu diesem Zeitpunkt swingender Jazz amerikanischer Prägung die stilistische Leitlinie der Basler Amateure, so setzte ab 1946 die aus Übersee nach Europa übergreifende Welle des aufmüpfigen, aber inspirierenden Bebop neue Akzente. In Basel entstand eine Gruppe von «verschworenen Boppern» (Bruno Spoerri), Zum harten Kern gehörten die Brüder Francis Burger (p) und Walter Burger (ts), aber auch Lukas «Cheese» Burckhardt (tp), Willy Bosshardt (dr), René Stammbach (b) und Werner «Body» Buser (vib). Diese Formation präsentierte sich 1947 unter dem nicht eben bescheiden anmutenden Label Swiss All Stars Bebop Team im Café Java und nahm 1948 – personell ergänzt mit dem Gitarristen Pierre Cavalli – als Schweizer Vertretung am internationalen Jazzfestival in Nizza teil.
Die Darktown-Strutters-Ära
Die jungen Basler Neutöner verfolgten die Weiterentwicklung des Jazz in den ersten Nachkriegsjahren eifrig, aber gleichzeitig realisierten sie, dass sich das breite Publikum mit Charlie Parker und Dizzy Gillespie schwer tat und der modischen Coolness tanzbaren Swing und fröhlichen Dixieland vorzog. Freizeitmusiker Lukas Burckhardt wusste, wo anständige Gage winkte, und spielte während seines Jus-Studiums ganze Wintersaisons in Zermatt. Ähnliche Erfahrungen machte damals der aus St. Gallen zugewanderte und mit der Musik von Bach bis Strawinsky bestens vertraute Pianist Robert Suter, der bei Basler Ballorchestern Anschluss fand und später in einem Vortrag schilderte, wie er zum Jazz kam: «Meine ersten Kontakte waren mit den Swing Kiddies, den Broadway Stars und der Academic Swing Band. Das war zu einer Zeit, als es in Basel viele Dancings gab. Ich trat auch als Barpianist auf (…) in der Wintersaison, in einem Hotel in Wengen. Das dauerte etwa zwei bis drei Wochen und brachte mir etwas Sackgeld ein.»
Ernsthaft mit dem Jazz befasste sich Suter vorerst im Zusammenspiel mit dem Klarinettisten und späteren Radiomann Peter Wyss. Aus dem Duett wurde am 1. November 1948 offiziell ein Sextett: Als Darktown Strutters präsentierten sich – neben Suter und Wyss – «Cheese» Burckhardt an der Trompete, Posaunist Balz Fischer, Bassist Marcel Magnin und Schlagzeuger Hans Schäubli, der in der Folge von Willy Bosshardt abgelöst wurde. Diese Band, quasi das Hausorchester im Café Java, setzte für viele Jahre den durchaus professionellen Standard in der Basler Dixieland-Szene und klassierte sich an den Zürcher Jazzfestivals der fünfziger Jahre stets in vorderen Rängen.
Zwischen 1950 und 1963 waren die Darktown Strutters – mal in originaler, mal in personell veränderter Vollbesetzung oder in Kleinformation – regelmässig in Aufnahmestudios anzutreffen. Die Ernte dieser Sessions wurde auf diversen Tonträgern jener Ära festgehalten. Wesentlich später, nämlich1999, folgte noch ein «Nachzügler»: Damals formierten sich Lukas Burckhardt (tp), Mario Schneeberger (as), Teddy Moll (p), Georges Schwarz (g), Louis Mermet (b) und Willy Bosshardt (dr) zum Darktown Strutters Swingtet und spielten stilistisch moderner orientiert die Titel «Blue Monk» und «Things Are Getting Better» ein. Das Ergebnis ist auf dem CD-Album «The Golden Five» (Habu Records HABU 2002) festgehalten.
Volksnahes Multitalent
Lukas «Cheese» Burckhardt, der Spross aus gutbürgerlichem Haus, machte als Staatsdiener und Politiker Karriere in Basel. Als Jazzmusiker und Fasnächtler aber sicherte er sich die Sympathien der Stadtbevölkerung. 1983 legalisierte Bundesbern den Betrieb privater Lokalsender in der Schweiz und konzessionierte am Rheinknie Radio Basilisk. Der Ex-Regierungsrat war von Beginn weg mit von der Partie und moderierte bis 1995 bei den Basilisken die Sendereihe «Jazz mit Cheese». Für die «scheenschte Dääg» im Basler Jahreskalender wechselte der Musiker Burckhardt jeweils von der Trompete zum Piccolo, zudem bereicherte er die Basler Fasnacht mit selber komponierten Pfeifermärschen.
Ein Unfall mit der Mähmaschine warf den Senior trotz verletzter rechter Hand nicht aus der Bahn, nötigte ihn aber, seine geliebte Ventiltrompete auf «linkshändisch» umbauen zu lassen. In den späten Lebensjahren machten Lukas indes zunehmend Altersbeschwerden zu schaffen. Tochter Ariane betreute den Vater, sie organisierte auch die kleine Feier mit Freunden zum 90. Geburtstag von «Cheese» Burckhardt. «Ich hatte das Privileg, dabei zu sein», berichtete Regierungsratskollege Eugen Keller später. «Er trat voll motiviert im Frack auf und erfreute die Runde mit Klavier- und Trompetenspiel bester Qualität. Es kam mir vor wie das Aufleuchten der Abendsonne nach einem trüben Tag. Es war wohl sein musikalischer Abschied.»
René Bondt