Betty Bestgen - Die Schlagzeug-Pionierin
*01.04.1915, + 19.06.2020 in Davos
Betty Bestgen (geborene Birchler) wuchs in der Berner Altstadt auf, wo ihre Eltern ein Pelzgeschäft betrieben. Als Teenager lernte sie den Musiker und Multiinstrumentalisten Willy Bestgen (*1914) kennen, dessen Familie in Bern ein Musikgeschäft betrieb, das (zunächst in Zürich) schon seit 1871 bestand. Trotz familiärem Widerstand wurden Betty und Willy ein Paar. Willy Bestgen arbeitete als Cellist in einem Orchester und leitete einen Akkordeonclub, den er selbst dirigierte. In dieser Zeit lernte er auch Blasinstrumente wie Saxophon und Klarinette zu spielen.
Je nach Nachfrage spielte Willy Bestgen klassisch, volkstümlich oder jazzig. Sein bis zu 13köpfiges Orchester Swiss Boys war im Bern der 1930er-Jahre eine zunehmend gefragte Attraktion für Tanzveranstaltungen und Revues. Nach ihrer Heirat mit Willy hatte Betty nicht im Sinn, die Rolle des Heimchens am Herd zu übernehmen und zu warten, bis ihr Gatte von seinen Engagements nach Hause kam. Sie lernte Schlagzeug und Gitarre spielen und war fortan Mitglied von Willy Bestgens Formationen, die sich punkto Grösse dem jeweiligen Konzertlokal anpassten. Betty war eine orchesterdienliche Drummerin, die am liebsten mit «Bäseli» spielte und einen swingenden Beat entwickelte.
Während des Zweiten Weltkriegs entschlossen sich die Bestgens zur Profimusik. Die Nachfrage nach grossen Orchestern war beschränkt und für den Betrieb fehlte das nötige Kleingeld. Die Bestgen-Band trat nun im Quintett oder Sextett auf, später auch als «Bar Trio». Meistens, aber nicht immer gehörte Betty zur Formation. Betty war definitiv eine der allerersten Schlagzeugerinnen der Schweiz, auch wenn zu dieser Zeit Memeta Ambrosetti als Drummerin mit ihrem Ehemann Flavio spielte und schon in den Dreissigerjahren das «Damenorchester» Swiss Ladies mit einer (namentlich leider unbekannten) Drummerin unterwegs gewesen war. Fast jeden Abend unterhielt sie ein Publikum, das sich nach Ablenkung vom entbehrungsreichen und bedrohlichen Alltag in der eingeschlossenen Schweiz sehnte – oft auch für Soldaten im Aktivdienst. Einmal begleiteten die Bestgens den Einzug der Truppen ins Reduit, wo auch General Henri Guisan anwesend war. Der General gab seinem Wohlwollen für die Musik mit einem «Trinkgeld» Ausdruck, das Betty Bestgen aber als schäbig empfand. Gerade mal einen Fünfliber war dem General die Arbeit der sechsköpfigen Band wert.
Während und nach dem Krieg spielte Willy Bestgen in unterschiedlichen Formationen Platten für die Labels Ideal, Columbia und Polydor ein. Stilistisch war die Bandbreite gross: Neben moderner, jazziger Tanzmusik setzte Willy auch auf Walzer und volkstümliche Musik. Als Arrangeur und Komponist machte er grosse Fortschritte. Doch auf die Dauer wurde die Tingelei zu den Kurorten und Touristenlokalen zu aufreibend. Betty war inzwischen Mutter von zwei Kindern und das Leben «on the road» war nicht mehr zu stemmen. 1951 eröffnete Willy Bestgen in Luzern ein Musikgeschäft, das er 1962 nach Davos zügelte. Die Geschäftsführung übernahm zunehmend Betty Bestgen, während ihr Mann auf seinem eigenen «Star»-Label Hunderte von Platten produzierte – eigene, aber auch zahlreiche Tanz- und Jazzcombos, etwa die legendären The Berry’s (sic), Buddy Bertinat, Paul Joy und sogar The 5 Good Men mit George Gruntz und Pierre Favre. In seinen späten Lebensjahren widmete sich Willy Bestgen fast nur noch der volkstümlichen Musik und der Blasmusik. Er starb 1976 in Davos.
Betty Bestgen führte das Musikgeschäft noch einige Zeit weiter. Am Schlagzeug sass sie seit den 1950er-Jahren nur noch sporadisch, doch immer wieder trat sie zusammen mit ihrem Mann auf. Um ihre Zeit als erste professionelle Drummerin machte sie nie ein Aufheben. Wenn sie darauf angesprochen wurde, erzählte sie aber gerne und mit viel Schalk und Understatement von ihren musikalischen Abenteuern. Bis ins hohe Alter war sie mobil und oft in der Natur unterwegs. 2020 starb Betty Bestgen mit 105 Jahren in Davos.
Samuel Mumenthaler