Roman Dylag
* 22. Februar 1938 in Krakau (Polen); + 24. Juli 2023 in Saltsjöbaden (Schweden)
Der Jazz hat amerikanische Wurzeln, im Laufe seiner stilistischen und spieltechnischen Reifung gaben ihm allerdings nicht wenige europäische Musiker entscheidende Impulse. Einer von ihnen war der Bassist Roman Dylag, der in seiner langen Karriere die namhaftesten Grössen von Mainstream bis Modern Jazz virtuos begleitet, aber mit profundem musiktheoretischem Wissen und dem unglaublich warmen Klang seines Instruments auch viele Newcomer instruiert und gefördert hat.
Dylag, in Polen geboren, wurde später in Schweden heimisch. Er schrieb freilich auch ein beachtliches Kapitel Schweizer Jazzgeschichte. Gemeinsam mit seinem älteren, ebenfalls musikalisch talentierten Bruder Edward wuchs Roman in schlichten Krakauer Familienverhältnissen auf – in jener tristen Epoche, als das polnische Volk von Hitlers Wehrmacht und danach von Stalins russischen «Befreiern» drangsaliert wurde. Für die Dylag-Buben gab es gleichwohl Glücksmomente: Beide übten fleissig auf einem Akkordeon. Und irgendwann konnten ihre Eltern ein Klavier auftreiben und dem Nachwuchs Lektionen ermöglichen.
Von der Trompete zum Bass
Das mit der US Army nach Europa «eingeschleppte» Jazz-Virus erfasste nach dem Zweiten Weltkrieg – trotz stalinistischer Abschottungspolitik – auch die osteuropäische Jugend. In Krakau entstand Polens erster Jazzclub, wo die Dylag-Brüder sich für die swingende Bigband-Power aus dem Westen begeisterten. 1952 gelang Roman die Aufnahme ins Krakauer Musik-Lyzeum, präziser: in die Trompeter-Klasse! Nach drei Jahren Horn-Studium und einer Diphterie-Erkrankung wechselte er zum Kontrabass und rundete auf dem für sein weiteres Leben entscheidenden Instrument die theoretische und praktische Ausbildung ab.
1957 schloss sich Roman Dylag dem Orchester des Pianisten Andrzej Trzaskowski an und tingelte mit der Band durch ganz Polen. 1958 sprengte der Zwanzigjährige erstmals den nationalen Rahmen: Ein Kurztrip führte ihn als Bassist der Polish All Stars nach Dänemark. In der Folge öffneten sich weitere Türen westwärts: 1962 bot die US-Botschaft in Warschau fünf polnischen Jazzern eine Bildungsreise in die Heimat des Jazz an. Bassist Dylag war dabei. Sechs unvergessliche Wochen lang spielte sich das Quintett durch Säle und Clubs von New York bis San Francisco und New Orleans. Der Schlusscocktail wurde am Newport Jazz Festival 62 gereicht.
Polen ade, hallo Schweiz
Im Folgejahr formierten die drei Polen Krzysztof Komeda (p), Jan Wroblewski (ts) und Roman Dylag gemeinsam mit dem schwedischen Drummer Rune Carlsson ein Quartett für einen Zweiwochen-Gig im Stockholmer Golden Circle Club. Während seine Mitmusiker anschliessend die Heimreise antraten, blieb Roman in Skandinavien und fand dort attraktive Jobs – mal an der Seite von Sängerin Anita O’Day, mal als Sideman von Saxofonist Dexter Gordon und anschliessend im neu formierten Quintett des schwedischen Posaunisten Eje Thelin. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wanderte der überaus flexible Bassist quasi durch ein «Who-is-who» im damals aktuellen Jazz: Stars wie Ben Webster, Art Farmer, Steve Lacy, Sonny Stitt, Wayne Shorter, Bill Barron oder Eddie «Lockjaw» Davis sicherten sich seine Dienste. Auch privat lief’s bestens: Roman lernte in Schweden die Baslerin Simone kennen, jene Frau, die 44 Jahre lang an der Seite des mehr oder minder «ausgewanderten» Polen blieb.
Ende 1971 wurde Roman Dylag schwedischer Staatsbürger – und Zeuge einer kulturellen Zeitenwende. Auch im lange Zeit jazzfreundlichen Skandinavien bevorzugte eine jüngere Generation mittlerweile Rock und Pop.1972 stiess Roman zur jazzrockenden Fusion-Gruppe um Michal Urbaniak, deren elektronisch-experimentelle Ausrichtung ihm aber auf Dauer nicht behagte. Darum griff er gerne zu, als ihm der schwedische Posaunist Runo Eriksson einen Jahresjob in Hans Moeckels Deutschschweizer Radio-Bigband vermittelte. Für zwölf Monate richteten sich die Dylags im baslerischen Binningen häuslich ein, 1974 kehrten sie nach Schweden zurück und kauften Wohneigentum im Stockholmer Vorort Saltsjöbaden. Weil Simone Dylag einen eher glücklosen beruflichen Wiedereinstieg erlebte, suchte Roman erneut eine längerfristige materielle Bindung. Fündig wurde er bei Paul Kuhns Berliner SFB-Bigband, die guten Jazz innerhalb ihrer kommerziellen Programmatik praktizierte. Als die Kuhn-Band 1981 aufgelöst wurde, fand Bassist Roman den Weg zurück ins Zürcher Radiostudio: Er heuerte als Freelancer im DRS-Ensemble an, das freilich 1986 ebenfalls sein Finale erlebte.
«Taking a chance on jazz»
Das Verschwinden der staatlich besoldeten Bands ging an Roman Dylag nicht spurlos vorbei. Er erlebte und überstand einen Mix aus Sucht, Krankheit und familiärer Krise. Sein feiner Double-Bass fand Anschluss in professionellen und halbprofessionellen Kleingruppen – beim Basler Trompeter und Sänger Alex Felix, beim Multiinstrumentalisten Oscar Klein, bei den Pianisten Willy Bischof und Robi Weber, bei Jürg Morgenthalers Rhythm Four. Von Zeit zu Zeit nahmen auch internationale Jazzgrössen auf Durchreise Romans Dienste gerne in Anspruch. Und die Jazzschule Basel profitierte von ihm als Lehrer, vor allem aber als Leiter von Workshops.
Nach Simone Dylags Krebstod (2008) wurde es ruhiger um den Musiker Roman. Aber auch der Siebzigährige hatte noch Ziele. Er brachte in Kurzform seine Lebensgeschichte zu Papier (zusammengefasst in den Swissjazzorama-Jazzletters 33 und 34) und bemerkte zuversichtlich: «Taking a chance on jazz is still my motto – as ever before.» Über 170 Aufnahmesessions und zahlreiche Tonträger dokumentieren eindrücklich die Karriere dieses 2023 verstorbenen Musikers. Noch 2017, als der Jazz Circle Höngg zu seinem 15-Jahr-Jubiläum eine CD produzieren liess, gehörte der einzigartige Bassist Roman Dylag – ebenso wie der Schreiber dieser Zeilen – zur Studio-Band.
René Bondt